Berliner Konferenz
  Eröffnungsrede und gleichzeitiger Pressetext

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Galerie,

dies ist die sechste Ausstellung in diesen Räumen seit ich in Berlin angekommen bin. Geplant als Resumé meiner fast achtmonatigen Tätigkeit. Experimentell, kontrovers und provokativ in Details. Neues in Korrespondenzen setzen und Themen für weitere Ausstellungen andeuten sind die Intensionen.

Nun folgt eine Versammlung, die mit Grenzen zu tun hat, mit Migration, mit Urbanisierung und mit Ausländer sein.

Berliner Konferenz ist als Titel doppeldeutig. Die Ausstellung soll Sie durch unterschiedliche Positionen der bildenden Kunst diskursiv anregen und verweist gleichzeitig auf die berühmte Kongokonferenz von 1884-85, bei der Bismarck alle europäischen Expansionsmächte nach Berlin holte.

Ich drehe den Spieß nun um und hole Künstlerpersönlichkeiten, von denen meines Wissens niemand hegemoniale Machtansprüche durchsetzen möchte. Wir werden zwar bei Weitem nicht die durchschlagenden Resultate erreichen wie vor 116 Jahren, aber niemand hält uns davor ab eigene Akzente zu setzen. Frei nach meinem Motto: Der schlechteste Versuch ist der, den man nicht macht.

Auf unsere Art lösen wir die Grenzen subversiv wieder auf. Steter Tropfen hölt den Stein.

 

In den Wandlungen suchte das kreative Künstlerpotenzial Afrikas durch das 20. jahrhundert hindurch einen Weg zu überleben. Im Umbruch veränderte sich die Kunst von Funktionalem des lokalen Gebrauchs hin zur interpretierend nationalen und internationalen Aussage. Im neuen Jahrtausend angelangt, deckt sich das Instrumentarium mit den Künstlern Europas. Die Wechselseitigkeit hat im adaquaten hin und her so etwas wie eine Normalität erreicht. Mehr und mehr befreit von Dominanz der Exotismen.

Sie sehen darum heute Arbeiten in aufgelockerter Atmosphäre mit geographischen und geschichtlichen Bezügen, die als Kulisse eine Stadtsilhuette haben. Der Untertitel der Ausstellung heißt entkrampfend, "afro-schwäbisches trifft auf Berliner Positionen".

Eigentlich nur als Arbeitstitel vorgesehen, blieb der Ergänzungssatz wegen seiner humorvollen Griffigkeit stehen, obwohl er nicht mehr ganz stimmt, weil eine franko- frankfurterische Komponente die Begrifflichkeit erweitert.

Eigentlich müßte der Untertitel korrekt heissen:
Afrosüddeutsches mit französischen Einflüssen trifft auf Berliner Positionen
Oder: Eine Kunstreise von Kamerun nach Cote d'Ivoire, Senegal und Algerien über Paris, Straßburg, Stuttgart, Franfurt, Köln nach Berlin.
Oder: Rom und Madrid, nehmen wir mit.

 

Ein Phänomen der Neuzeit ist ohne Zweifel, daß die Urbanisierungsbewegungen in Afrika von den imperialen Nationalgrenzen wegführen wie ein galvanischer Prozess. Aus der Vogelperspektive betrachtet, streben ganze Völkerwanderungen von der Zellhaut weg in die jeweiligen Zentren. Dorthin, wo die Heilsversprechungen des ungebremsten Wachstums aus allen Rohren in den Äther geblasen werden.

Douala, vor 1900 ein Küstendorf, davor ein deutsches Schiff als Handelskontor idyllisch in ruhiger Bucht in den Wellen schaukelnd, ist heute eine zweieinhalb Millionen Menschen starke Metropole. Lagos dürfte ohne Statistik gerade so etwa bei 16 Millionen angelangt sein. Abidjan und Dakkar, ebenfalls auf unserer Reiseroute liegend, haben ähnlich zentralistische Entwicklungsprozesse wie in Frankreich der Wasserkopf Paris, nur ungleich schneller.

Ganz anders verläuft die Entwicklung bei uns in Deutschland. Seit 1989 ist die Bewohnerzahl in Berlin rückläufig. Um die wohlhabenden Wirtschaftszentren wie Düsseldorf, Hamburg, Stuttgart und München sind die Stadtflächen ebenso wie die großflächigen Provinzansiedlungen als satter Wohlstandsgürtel stabil geblieben. Die föderalen, dezentralen Kommunen haben sich bewährt und die erwartete Bevölkerungsexplosion der neuen Bundeshauptstadt hat nicht stattgefunden. Mit großzügigem Länderfinanzausgleich wird der Tropf gefüllt, an dem Berlin hängt. Doch gerade da wo die Wirtschaft weniger Raumgreifend ist, blüht eine sich dynamisch enwickelnde kulturelle Kreativszene, weil sie kostengünstige urbane Brachlandschaften vorfindet.

 

Hier lebt Liz Crossley. Vor 25 Jahren aus Südafrika gekommen, hat sie sich zu einer sehr angesehen Künstlerinnen entwickelt. Hier lebt El Hadji Mansour Ciss aus dem Senegal und weiss nicht so ganz genau warum er zugunsten Berlins auf ein Leben im Wohlstand in Dakar verzichtet. Jens Reulecke kam nach acht Jahren Aufenthalt in der Republik Niger wieder zurück in seine Heimatstadt. Pierre Granoux, mit einer meiner Stammesangehörigen aus Backnang verheiratet, zog von Frankreich über Bonn hierher.

Die Genannten bilden einen von drei Blöcken der Konzeption. Der Zweite ist eine Gruppierung von Künstlern, die seit Jahren fest im Programm meiner Galerie in Stuttgart verankert und vielen von Ihnen ein Begriff sind. Pascale Marthine Tayou aus Brüssel und Yaounde. Marie Pittroff aus Straßburg und Mainz. Die Algerierin Nicole Guiraud, die heute in Montpellier lebt sowie Aboudramane aus Abidjan und Paris. Der Maler Johannes Rave ist die solide allemanisch-schwäbisch Größe aus Stuttgart.

Eine weitere Gruppe von Künstlern sind ebenfalls das erste Mal in meiner Galerie zu sehen. Wie alle haben sie entweder etwas mit Afrika zu tun oder mit "Ausländer sein". Die Münchnerin Angelika Böck arbeitete mit einem höchst interessanten Stil-Experiment in der Elfenbeinküste, Klaus Schnocks-Meusen hat Globalisierungstendenzen zum Bestandteil seiner Arbeit gemacht und der Franzose Jean-Luc Cornec liefert mit seiner Arbeit über die Sprache einen wichtigen Beitrag über Hürden des Einlebens eines Fremden.

 

Daß es in der Kunst keine Grenzen gibt ist eine zwangsoptimistische Binsenweisheit, die mit einer Ausstellung wie der Berliner Konferenz als solche betont werden soll. Davon ausgehend soll die Ausstellung einen Beitrag leisten, wie Eingangs schon erwähnt, Grenzen durchlässiger zu machen.

Es läßt sich an dem heutigen Konzept auch trefflich ablesen, wie Einflüsse und gegenseitige Befruchtung von Afrika nach Europa, von Frankreich nach Deutschland oder von Stuttgart über Frankfurt nach Berlin und umgekehrt lebendig sind.

Die Künstler selbst haben die Möglichkeit, sich innerhalb des Ganzen zu reflektieren und kennenzulernen. Der Galerist kann, last not least, seine kuratorischen Fähigkeiten unter Beweis stellen und hoffen, darüber einen Auftrag zu erhalten um dieselbe oder eine ähnliche Ausstellung andernorts noch einmal zu wiederholen, wie mit der Gruppierung aus der Ausstellung Vielfaches Echo mehrfach geschehen.

Ausserdem kann man mit einer solchen Ausstellung eine Themensetzung vorwegnehmen, die die nächsten Jahre verstärkt in den Focus kommt. Wie bei Around and Around, deren Inhalte von 1994 sich in der Johannesburg-Biennale 1997 fortsetzten.

Sie werden sehen, Megastädte und ihr kultureller Einfluß werden zum zentralen Thema der nächsten Jahre, Citynomaden werden maßgeblichen Einfluß auf die Kunst nehmen. Der Westen hat Kunst als Markt vorgelebt, nun übertragen sich die Mechanismen auf Korea, Senegal, Havanna und Istanbul.

Des weiteren ist im Konzept der Ausstellung das innereuropäische Kalkül angelegt, eine frankophon ausgerichtete Kulturschiene immer schön am Brodeln zu halten. Sie wissen schon, hinter den schönen Künsten lauert das schöne Leben, mit Küche, Wein und der Art, damit umzugehen.

So gesehen soll uns London und New York heute ein bißchen weniger interessieren. Damit aber niemand beleidigt ist, habe ich ein New York-Bild von Marie Pittroff auch noch reingenommen, mit Urbanität hat es nämlich allemal zu tun.

Ich bedanke mich für Ihr Zuhören und wünsche Ihnen viel Vergnügen und interessante Impulse. - Bei französischem Wein und afrikanischer Musik, hier in Berlin.

Peter Herrmann im November 2001


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