Kolumnen
Essay von Peter Herrmann. Mai 2006
 

Von Fälschung und Vision

Sehr geehrte Interessenten alter Kunst oder auch Freunde der zeitgenössischen Kunst, die ein wenig zufällig auf dieser Seite landen.

Frank Zappa sagte einmal „Jazz is not dead, it just smells funny“. Ähnlich lässt sich der Markt der Sammler, Händler und Ethnologen beschreiben, der alte Kunst Afrikas zum Inhalt hat. Er ist nicht tot, aber riecht einfach komisch.

Es ist ein seltsames Häufchen meist erhabener Langweiler das sich in diesem kleinen Marktsegment tummelt und dabei weitgehend außerhalb des allgemeinen Interesses vor sich hin darbt. Das war in Deutschland nicht immer so. Bis in die 1960er und 70er gab es eine ganze Reihe bedeutender Sammler die sich sehr aktiv bewegten und von denen legendäre Geschichten kursierten, wer wem was vor der Nase wegschnappte. Es wird von engen Verbindungen erzählt, von Museumsverkäufen, Tauschhandel, Intrigen und Charakteren. Von Glücksfällen, - und von Fälschungen.

Dieses magische Wort ist auch einer der Gründe dieses Essays. Fälschung. Welch ein schweres Wort und welch schwere Folgen wem dieses Etikett damals angeklebt wurde. Dies ist heute anders. Der Begriff wird in einem solchen Maße inflationär benutzt, dass es schon sehr unappetitlich ist und jenen oben erwähnten eigentümlichen Geruch verbreitet. Es ist denn auch dieser Odeur, der wie eine Stinkmorchel jeden jungen Sammler aus dem Revier vertreibt. Wo er hineinschaut, nur Lug und Trug, Beschiss und Gestänk. Kaum hat der Jungsammler ein wenig Vertrauen gefasst zu einem Händler, sind sich der Platzhirschsammler und der Museumsvölkerkundler  eifersüchtig einig – dies von ihm, dem jungen Sammler Erstandene ist eine Fälschung. Was dann auch unerschrocken hinausposaunt wird. Natürlich immer hinter dem Rücken der jeweiligen Tratsch-Subjekte.

Auch in den Museen stehen genügend Fälschungen, so dass Sammler und Händler eifrig und genüsslich dem interessierten Nachwuchs stecken, wie die musealen Schlauberger in Afrika aufs Kreuz gelegt wurden und auf wie viel Diebesgut und kolonialen Auftragsnachbauten die ethnologischen Gralshüter des wahren und ewig Gestrigen hocken. - Und erst die Sammler, da sind sich wieder Händler und Kulturbeamte einig, wollen buchstäblich angelogen werden. Wenn hier nicht stantepede 150 Jahre Mindestalter für ein Objekt hinein fabuliert würde, reimt sich nichts mehr mit deren Exotismuserwartung. Letztlich brauchen sie eh nur wichtigtuerisches Deko. Gut, wenn authentische Hühnerscheiße drauf ist oder im ebenso beliebten Gegensatz dazu das erstandene Objekt der Sammlerbegierde schön mit sogenannter Telefonpatina hochpoliert ist.


Hier beginnen weitere hochkomplizierte Verwebungen. An einem Punkt sind sich unisono Sammler, Händler und Ethnologe einig: Im Zweifelsfalle ist an allem der Afrikaner schuld.

Der Ruch des Verbotenen.

In der Dämmerung mit hochgeklapptem Kragen schleicht der Herr Studienrat um die Ecke in jenes Hotel, wo die afrikanischen Händler ihr günstiges Quartier bezogen. Hier kann der Wohnzimmerabenteurer der bösen Welt ein Schnippchen schlagen und ein Schnäppchen machen. Der dunkle Herr und Verkäufer, meist Muslim, erzählt die gefährliche Begebenheit der Aneignung dieses Objekts und die langjährige Bekanntschaft mit dem vormaligen Besitzer und Stammeshäuptling. Das Objekt, exklusiv und erstmalig unter der Hotelbettlade hervorgezogen, reserviert nur für ihn, den Herrn Studienrat. Der geheime Zauber der magischen Maske beginnt ein dämonisches Spiel.

Zur Sprechstunde Mittwoch nachmittags im Museum wird das gesäuberte, gesockelte und von mottenanfälligem Schnickschnack befreite Objekt der Begierde, würdevoll, aus feinem Wickeltuch heraus zur Begutachtung ausgebreitet. Die Kodierung im standesäquivalenten Verhalten ist dem Museumsmann ein Ansporn für allerlei wohlwollende Relativsätze, die flugs den interpretatorischen Freiraum wie ein Gartenzaun sichernd umschließen. Ja, da haben wir doch die Abbildung bei Soundso und eine ganz spezielle Erwähnung bei Frau Dr. Siewissenschon.

Ein eventuell ins Haus stehender Umzug erfordert jedoch vom Sammler in periodischen Abständen eine dringende Verkleinerung des Angesammelten. Dies ist ein sehr beliebter Standardsatz mit dem kaschiert werden soll, dass man eigentlich und ausschließlich mit Gewinnerwartung erstanden hat. Auch seine Gattin lamentiert über staubzeitintensive Faktoren und Geruchsbelästigung. Hier naht die Stunde der Inanspruchnahme des Antiquitätenhändlers. Aber erst nachdem in der hinteren Sitzreihe beim Vortrag im Verein der Freunde afrikanischer Kultur der steuerfreie Weiterverkauf scheiterte. Der Händler steht nun in einer Bredouille. Diejenigen Objekte, die er dem Sammler früher schon verkaufte, können schwerlich erneut ins Angebot genommen werden. Objekte, die der Sammler aus Unkenntnis bei einem anderen Händler gekauft hat, der erst jüngst wieder und wiederholt von einem Fälschungsvorwurf gebeutelt wurde, kann er auch nicht verkaufen. Bleiben also nur die Objekte, die kürzlich unter der Hotelbettlade hervor den Sprung ins selbstdeklarierte Authentische geschafft haben. Die akribischen Buchvergleiche und das addieren einer Missionarslegende fördern die Verwandlung einer abstrusen These zum authentischen Dogma.

Doch nicht genug. Ein anderer Händler, ebenfalls mit hochgestelltem Kragen, hat, ganz exklusiv, nur er alleine, dasselbe Objekt schon einen Tag vor dem Verkauf an den Herrn Lehrer in seinen Kennerhänden gewiegt. Da er weiß, dass aus dieser Quelle schon dreimal gar kein Original mehr kommen kann, darf er nun praktisch ohne Risiko den brachenüblichen Refrain intonieren. Die andern haben Fälschung – Fälschung – Fälschung!

Die sich gegenseitig nicht mögende Schicksalsfamilie verwendet ihr gesammeltes Phantasiepotential um neue Fakten zu schaffen. Dies ist die Entstehung einer billigen Geschichte. Schnitzer, Einkäufer, Endkäufer, Begutachter und Wiederverkäufer verstricken sich derart in ein System verzweifelter Legitimationssuche, deren niederster gemeinsamer Nenner darin besteht, alles nur mögliche bei Anderen mit dem Begriff Fälschung zu brandmarken, um das Eigene in der Wertigkeit zu steigern.

Wertschaffungsprinzipien in der Kunst sind abstrakt, surreal oder postmodern. Nachvollziehbar, durchschaubar, jedoch nicht immer logisch. Aber es gibt Niveauunterschiede innerhalb jeglicher Variante. Dies ist der springende Punkt. Wenn ich nun an die Postulierung anknüpfe, die Szene in Deutschland sei in ihrem Ganzen bedauernswert, muss der unbedarfte Leser wissen, dass die oben beschriebene Komödie nur eine von vielen Varianten ist. Ein paar Geschichten mehr, garniert mit leise gesprochenen Namen, könnten uns königlich unterhalten.


 

Geschichten sind uns Bedarf, gern genossene Kurzweil und wichtiger Bestandteil einer jeden Leidenschaft. Schade nur, dass die beschrieben Szene von kleinkarierter Selbstbezogenheit durchtränkt ist, von Neid und Boshaftigkeit dominiert wird, und am besten mit dem Bild des sich selbst aufessenden Homunkulus zu beschreiben ist. Begleitet von einer meist erschreckenden Unkenntnis der Protagonisten, gepaart mit einer Selbstüberschätzung, deren komplexbehaftete Ursprünge für eine andere, heilende Branche interessant wäre.

Fälschung ist ein juristischer Begriff. Wenn ich einer anderen Person vorwerfe, er hat eine Fälschung verkauft, werfe ich ihm eine kriminelle Tat vor. Genauso, als würde ich sagen: Die oder der habe gestohlen.

Nun findet ein weiterer humoriger Prozess statt, den die deutschen Afrikadrittligisten mit Eifer praktizieren. Ich will es die konstantdynamische Gartenzaunverengung nennen.

Echt ist in den Augen des Dreiergespanns unzweifelhaft jenes Objekt, das die Gnade des frühen Auftauchens auf europäischem Boden hat. Aber auch nur dann, wenn es fotografisch in einem Auktionskatalog oder einem Bildband dokumentiert ist. Dass dieses vereinfachte Raster nicht stimmt, wird vereinfachend ignoriert. Irgendeine Sicherheit braucht man ja im Leben. Dies führt dazu, dass Teppich- und Immobilienhändler mit Breitreifen-Rolex-Mentalität im Brustton der Überzeugung behaupten können, nur sie selbst seien die wahren Kenner und Experten echter alter Kunst aus Afrika. Was nicht über 50.000 Euro kostet und nicht in Frankreich schon vor den Fünfzigern unter den Hammer kam, ist falsch. Ist eine Fälschung. Wer anderes behauptet ist ein Dummkopf, sagt der Immobilienhändler. Eine Behauptung, die ungefähr so geistreich ist wie: nur van Gogh und Rubens waren gute Maler, die anderen sind Stümper.

An dieser Stelle können wir nun die Brücke schlagen zum afrikanischen Pendant.


Die meisten herumreisenden afrikanischen Händler, die, wie schon weiter oben erwähnt, fast immer moslemischen Glaubens sind, interessieren sich einen feuchten Mist für die eigentlichen Hintergründe afrikanischer Objekte. Es sind den Meisten schlicht bizarre Relikte einer rückständigen viehischen Kultur, mit deren Restbeständen man europäische Trottel, sprich Ungläubige, übers Ohr hauen kann in dem Sinne, dass zwischen Kauf und Verkauf eine gute Rendite liegt. Sie kaufen in den jeweiligen Ländern animistische Objekte, von denen sie wissen, dass sie bei den Ungläubigen en vogue sind. Ob Hühnerscheiße oder Hochglanz hängt als Zeiterscheinung von einer der großen westlichen Auktionen ab. Der Afrikaner kauft und verkauft. Er ist frei von jeglichen Idealismen. Die Differenzierungen von authentisch oder nicht ist ihm egal, jeglicher Inhalt wird reduziert auf Verkaufsargumente. Er hat in fast allen Fällen keinerlei Hintergrundwissen, das über Herkunft und Namen des Objekts hinausgeht.

Einige wenige kompetente Händler denken nicht daran nach Deutschland zu kommen sondern kooperieren in Paris oder Brüssel. Die große Mehrzahl der Händler die momentan in Deutschland reisen, würden mit den Qualitäten für die sie hier Kunden finden, in Belgien Einreiseverbot wegen sträflicher Verletzung jeglicher Geschmackskriterien bekommen.

Der afrikanische Schnitzer bildet ein in einem Buch abgebildetes Kunstwerk nach oder greift auf seinen traditionellen Formkanon zurück und fertigt eine Replik. Das Objekt wird mit allerlei Material behaftet, sieht mit Macken und Brüchen gebraucht aus und es stinkt nach Rauch und Mist. Er weiß, dass es sich dann verkauft. Wohlgemerkt: nicht als Fälschung, sondern als Replik. Ein ausgereiftes Werk, mag es noch so gut sein, wird, wenn es neu ist und auch so aussieht, am deutschen Markt nur im untersten Preissegment akzeptiert. Gute neue Sachen gehen auf den nordamerikanischen Markt. Viele mißlungene Stücke, die mangels ästhetischer Qualität nicht über den kunsthandwerklichen Markt absetzbar sind, werden noch ein wenig beschädigt, Dreck darauf geschmiert, etwas dran gehängt das wie ein mystisches Amulett aussieht und fertig ist der geheimnisvolle Zufallsfund für die Bettlade im Berliner Hotel.

Ein afrikanischer Händler übernimmt und fügt Narratives bei. Standartplatitüden vom Häuptling oder Missionar und dass er nur und ausschließlich die weite Reise wegen demjenigen Sammler gemacht hätte, der gerade vor ihm steht sind seine gebetsmühlenartige Verkaufslitaneien. Sollte der Sammler eine Oma sein, die ins Metier schlitterte, weil sie bisher monatlich 10 Euro für Brot für die Welt gespendet hat und nun einen authentischen Schwarzen kennen gelernt hat, den sie stellvertretend beglücken möchte, ist eine beliebte Geschichte die vom Notverkauf wegen Bürgerkrieg und Aidstot. Fruchtet all dies nicht, geht der dunkelhäutige Verkäufer gerne in die moralische Offensive. Er, größer wie Häuptling, Vater von 8 Kindern, den weiten Weg nur wegen Sammler, immense Kosten, Tragödie beim bösen postkolonialen Zoll, hat nun kein Fahrgeld mehr um von diesem Ort wegzukommen. Mit dieser Mischung zwischen Tränendrüse und impertinenter Aufdringlichkeit wird er mindestens ein Objekt los. Am Ende seiner Reise war diese Kategorie von Verkauf auch stattlich etwa die Hälfte seines Umsatzes. Sehr wirkungsvoll.

Nach unserem Moralkodex mag der Afrikaner mit Geschichten dieser Art schwadronieren oder schummeln. Nur eines ist er tatsächlich selten. Ein Fälscher. Da fehlt den meisten schlicht die Intention. Zur Fälschung mutiert das Objekt meist erst im deutschen Wohnzimmer, wenn der Schnäppchenjäger beschließt, dass die geschaffene Replik ein echtes altes Stück wäre und er es als solches im Verein der Freunde der afrikanischen Kultur anpreist. Ist das Stück nach erstem Anbieten durchgefallen, kann er den Schuldigen schnell ausmachen. Der Afrikaner.

Dass der afrikanische Händler für dreimal gar nichts dem Schnitzer seine Arbeit abgekauft hat, dasselbe Objekt mit Unbedenklichkeitsbescheinigung als kunsthandwerkliches Produkt aus dem Land ausgeführt hat und es bei der Einreise nach Europa erneut als Kunsthandwerk einigermaßen ordentlich angemeldet hat, spielt offensichtlich bei den moralischen Schuldzuweisern keine Rolle.

Fragen Sie einmal einen Händler, egal ob aus Deutschland oder aus einem afrikanischen Land, warum es von Bedeutung ist, dass ein Objekt authentisch ist. An der Antwort können Sie schon viel erkennen. Ich sage Ihnen, kaum einer kann ihnen außer den reinen Wertkategorien einen andern plausiblen Grund nennen. Dass bestimmte stilistische Details Rückschlüsse über Binnenmigrationen geben können, dass für konkrete Anwendungshintergründe die Form oder Materialapplikationen eine entscheidende Rolle spielen, dass über vergleichende Wissenschaft historische Schlüsse gezogen werden können, dass Funktionen im rituellen Kontext entscheidend von formalen künstlerischen Details beeinflusst sind, die an einem manierierten Nachbau nicht mehr nachvollziehbar gegeben sind, all dies ist wichtig.

In subsaharischen Gesellschaften mit oraler Tradition geprägt von Halbnomadentum gibt es wenig Zeugen der Geschichte. In der Wandlung der vergangenen Jahrzehnte sind Afrikaner mehr und mehr von wissenschaftlichen und musealen Traditionen der westlichen Welt abhängig, in die sie kolonial, postkolonial und neogloballiberal hineingestoßen wurden. Bei uns wurden die Zeugen der Vergangenheit in wissenschaftlich-musealen Tradition archiviert und dokumentiert. Sie sind somit ein nicht zu unterschätzender Fundus für die neu entstehenden Wissenschaftszweige auf dem afrikanischen Kontinent, die sich mehr und mehr den unseren angleichen. Doch welch eine Katastrophe begegnet wissenschaftlich orientierten Afrikanern wenn sie nach Deutschland kommen.

Nehmen wir als Beispiel einen Studenten der Kunstgeschichte. Aus dem Land Benin kommend an der Humboldt-Universität in Berlin mit der Absicht gelandet, seine eigene Vergangenheit aufzuarbeiten und mit der Hoffnung voll, in seiner Heimat dieses vermittelte Wissen einmal anwenden zu können. Er findet fast nichts. Mit der Belegung der Kunst Afrikas durch die Ethnologen wurde erreicht, dass in dem Studium der Kunstgeschichte der Kontinent Afrika in Deutschland nahezu nicht existent ist. Niemand aus der Kunst will in diese Domäne der Kleinkariertheit, Wortklauberei und furchtbarster Political Correctness eintauchen. Ist einem Vertreter der Kunstwelt der harmlos klingende Begriff Ethno als Label erst einmal aufgedrückt, ist eine Karriere weitgehend vorbei.

Wenn der junge Kunsthistoriker versucht verwertbares Material zu finden, landet er schnell in der Sphäre des Museums für Völkerkunde. Dort ist die alte Kunst Afrikas präsentiert als eine Schauansammlung exotischer Artefakte von denen heute noch einige Ethnologen allen Ernstes behaupten, es wäre keine Kunst, sondern Gebrauchsgegenstände religiöser Rituale. Was sie dennoch nicht daran hindert, die Begrifflichkeit Kunst nach Belieben und Gusto zu verwenden. Bis heute gibt es in Deutschland kaum einen Ethnologen der es wagen könnte, mit den Verbiegungen seines Kunstbegriffs auf dem Markt der zeitgenössischen Kunst unverhöhnt auftreten zu können.

Durch die erlebte Degradierung und die schmerzhaft empfundene Vernachlässigung  seiner Kultur hindurch, findet der Student Bürokraten, deren Kunstverständnis im besten aller denkbaren Fälle dadurch entstand, dass sie sich während des Studiums parallel in ihrer Freizeit damit beschäftigten. Ebenhölzerne Massenware aus Tansania und oshogboische Batikstoffe aus Nigeria, so wird ihm weisgemacht, seien das zeitgenössische an der Kunst des heutigen Afrika. Verlässt er ernüchtert die musealen Sphären und versucht am freien Markt einen Erkenntnisgewinn zu erlangen, geht die Tragödie weiter.


 

Wer über einen rein merkantilen  Anspruch hinaus denkt, hat es momentan schwer. Hypothesen als Grundlagen sind nicht mehr Bestandteil des Forschens für Wissenschaftler und nicht mehr Grundlage für Freude am Sammeln. Diskurs ist nicht mehr Lernen, und Betrachten kein sinnlicher Genuss. - Wenn man einmal davon absieht, dass mit Dreck werfen für manche kümmerliche Menschen die einzige Möglichkeit ist auf sich aufmerksam zu machen und sie deshalb daraus einen Erlebnisgewinn ableiten können.

Bevor nun der Artikel abgleitet in fatalistischen Negativismus, ist die Frage angebracht wie man mit dem Faktor Kunst aus Afrika umgeht. Immerhin war noch in den 1990er Jahren laut der Zeitschrift Capital der Markt mit alter Kunst aus Afrika das stabilste Segment des ganzen Kunstmarktes und im gleichen Zeitraum begann man in unseren Breitengraden langsam mit der Wahrnehmung von aus Afrika stammenden zeitgenössischen Künstlern.

Zunächst ist es wichtig von merkantilen Aspekten kleinkarierter Wohnzimmerhändler abzurücken und Kunst als ein wichtiges interkulturelles Kommunikationsmittel zu begreifen, dessen Reichtum über eine individuelle Bereicherung hinaus geht. Wir stehen mit vielen afrikanischen Ländern in Kontakt und müssen begreifen, dass wir uns auf einer Augenhöhe verständigen müssen.

Wenn man von der simplen Annahme ausgeht, dass wir durch unsere europäisch-museale Tradition einen Vorteil haben und dass die meisten Bewohner Afrikas die Muster unseres westlichen Bildungssystems angenommen haben ohne dieselben gewachsenen Infrastrukturen derselben zu besitzen, bleibt die Frage: was ist dann gleiche Augenhöhe?

Genauso einfach. Es sind die Inhalte und Hintergründe eines Kulturraums, die als Reichtum adäquat zu unseren strukturmateriellen Vorteilen gesehen werden müssen. Kooperation heißt das strapazierte Schlüsselwort. Kooperation nicht als Worthülse und Politikergeschwätz, sondern Kooperation als Tat.

Alte Kunst aus Afrika muss in anderen Zusammenhängen bearbeitet werden. Die Ethnologie darf dabei nur ein Teilaspekt sein und muss seiner Dominanzen entledigt werden. Es sollten Ausstellungen an anderen Orten stattfinden, die kunsthistorische Hintergründe anders zu interpretieren in der Lage sind. Ausstellungen, die wieder Publikum und Medien erreichen. Ausstellungen, bei denen Afrikaner und Afrodeutsche auch im wissenschaftlich-organisatorischen Bereich stärker eingebunden werden. Moderne Ausstellungen mit inhaltlicher Ausrichtung weg von zusammenhangloser Darstellung aufgereihter Artefakte. Ausstellungen, die zwischen Didaktik und Ausdruck unterscheiden können. Zeitgemäße Ausstellungen auch mit alter Kunst.

Es ist mittlerweile ein alter Hut, dass öffentliche Institutionen eine eklatant schlechte Zusammenarbeit mit freien Kunstschaffenden pflegen. Millionen über Millionen Euros so genannter Kulturzuschüsse dienen fast ausschliesslich dazu, Institutionen als Verwaltungsapparat aufrecht zu erhalten. In den Institutionen sitzen mit Mehrheit ängstlich aussitzende Schmalspurkarrieristen, die bei jeder Berührung mit der Außenwelt, in diesem Falle Sammler und Händler, fürchten, in einen Bestechungsskandal verwickelt zu werden. Aus Erfahrungslosigkeit im Umgang mit jenen, geschieht dann, wenn sie doch einmal "hinaus" müssen, gerade das, was sie immer befürchten. Oder, noch schlimmer, sie benützen das Argument der Beeinflussung der Wissenschaft um alle aus den Museen fernzuhalten, die in der Lage sind zu sehen, dass sie sich schon lange selbst die Taschen vollschaufeln oder Jahr für Jahr nichts anderes tun als da zu sein.

In den Museumsarchiven liegt unglaublich viel Material brach mit dem man arbeiten könnte. Machen Sie sich einmal die Mühe, die Menge an Ausstellungen über afrikanische Themen in den letzten zehn Jahren in Deutschland zu zählen und setzten Sie dieses Summe in ein Verhältnis zu der Menge völkerkundlicher Museen. Dieses Ergebnis setzen Sie nun in ein neues Verhältnis zu den Ausgaben die diese Museen kosten. Düstere Ergebnisse, die niemand bemerken möchte, denn im Gegensatz zu Opernhäuser werden die Besucherzahlen der meisten Völkerkundemuseen nicht durch Erwachsene sondern durch Schulklassen erzielt und liegen damit außerhalb einer medialen Wahrnehmung. Niemand nimmt diesen Zuschussapparat in seiner eigentlichen Dimension wahr. Aus Angst, in Zentnern von altem Staub zu ersticken. - oder, hier sind wir wieder am Anfang, in dem Sumpf von Beschimpfungen und Inkompetenzen jede Lust am Wirken schnell wieder zu verlieren.

Wir befinden uns in einer neuen Aufbruchsituation was den Kontinent Afrika anbelangt. Schon wieder kann man aber dabei postkoloniale Tendenzen sehen und neu geschaffene Abhängigkeiten, die es unbedingt zu vermeiden gilt. Gleiche Augenhöhe ist Wunsch und Forderung. Das Wort Kunstgeschichte enthält Geschichte. In diesem Essay die Geschichte von Afrika. Kunst als Träger der Geschichte von Afrika. Kunst als wichtigster Bestandteil und Ausdrucksmittel von Kultur. Betrachtung von Kultur und Kunst in kunstgeschichtlichen Zusammenhängen. Um gleiche Augenhöhe zu gewährleisten, müssen die Archive aufgehen und Objekte ins Licht kommen. In neuem Kontext erscheinen. Unser Bestandsvorteil der musealen Archivierung muss ins Spiel geworfen werden, um sich auf einer Höhe mit den von Afrika gebotenen Inhalten treffen zu können. Diese Inhalte sind der Trumpf Afrikas. Je länger die Objekte in totem Archivierungskontext vor sich hin sterben, desto kleiner wird der Trumpf.

Ein Plädoyer für neue Ansätze, deren Realisierung übrigens nicht allzu zu schwer ist. Es muss niemand vom Sockel gestoßen werden um Veränderungen einzuleiten. Die Szene der Sammler alter Kunst aus Afrika hat sich selbst schon soweit demontiert, dass es keine Säulenheilige mehr gibt. Die ganze Szene ist die eigentliche Fälschung.

Peter Herrmann im Mai 2006


  Zum gedruckten Artikel in der Afrika Post vom Juli 2006

 

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