Potsdamer Neueste Nachrichten 15.8.2005 - von Gerold Paul

Presseseite der Galerie Peter Herrmann



Harmonien bis in den Tod
„Pentatonisches Potsdam“ im Waschhaus

Letzten Donnerstag war alles wie gehabt: Das gewaltige Ballaphon des Malinesen Aly Keita war immer noch da, die etwas dümpelnde Ausstellung „visualisierte rhythmen“ desgleichen, mithin auch Galerist Peter Herrmann, zugleich Leiter der zu wenig bemerkten Veranstaltungsreihe Pentatonisches Potsdam im Waschhaus. Seit Mitte Juli wird hier einmal wöchentlich per Instrument und Stimme „Afrika“ geboten, rein oder gemischt, gebrochen, verändert, jedenfalls, ohne „Multikulti-Ideologie“.

Diesmal stellte Peter Herrmann zwei deutsche Musiker vor, in denen sich dieses Konzept kongenial spiegelt. Stefan Charisius spielte die 21-saitige Kora, eine traditionelle Stegharfe aus Westafrika, indes der begnadete Martin Schnabel auf den vier Strängen seiner elektrischen Geige den schier unerschöpflich-modernen Sound Europas hinzutat – an Bachs Partiten erinnernde Klassik-Passagen, Balkanklang, Pop, Dub oder Jazz. Man musizierte mit lächelnder Verständigung face on face, stets harmonisch, ganz unbemüht und locker, obwohl über die zwei Stunden mit F-Dur bzw. d-Moll – die Stimme der Kora – nur eine Tonart zu hören war. Die aufgebaute Verstärkeranlage mischte dann raffinierte Midi-, Echo- und Orchestertöne darunter.

Westafrika also, wie Europa es hört oder aufnimmt. Das faszinöse Duo aus Stuttgart gab sowohl Proben „ohne Strom“ als auch „mit“: Ganz ehrlich, ersteres ging eher in den Corpus hinein, wo es, so Charisius, bereits angelegt sein muss, wenn man’s empfangen will, genau wie die Sonne. Diese Musik ist zuerst einmal harmonisch, was immer man mit ihr tut. Sie ehrt und schmeichelt Könige, ist auf Hochzeiten und anderen Feiern zu hören, ermuntert die Kinder, spielt selbst dem Tod sein Ständchen, mild, still, schön. Wie beim Ballaphon, so reicht die Leib und Seele wohltuende Pentatonik auch hier über beinahe drei Oktaven.

Zugleich wird man durch stetige Wiederholungen der Motive einer anderen Zeitfühlung gewahr, ohne dieser „Reprisen-Taktik“ überdrüssig zu werden. Harfentöne sind immer himmlisch, die kuhhautbespannte Kalebasse am Ende des Instruments aber verkörpert die Erde. So empfängt man die unbeschreibliche Mildheit gezupfter, auf der Geige aliquott oder glassando gespielter Töne in meist kürzeren Liedern. Sie sind nie laut, lösen auch keine Begeisterung aus, eher faszinierende Ruhe beim Hören.

Die Stimmführung dieser Klangwunder, auch für Theater- und Filmzwecke eingesetzt, blieb stets parallel, wechselte dafür oft zwischen Kora und Geige, vieles war gezupft oder mehrstimmig über den Bogen gestrichen. Jedenfalls „sehr elektrisch“, wie es der Veranstaltungstitel verhieß. Das dergestalt ganz vom Empfinden her interpretierte Produkt ist weder traditionell noch modern, es überspringt vielleicht alle Zeit, indem es die menschlichen Harmonien im Innern berührt, mithin den Tod, auch er bedarf wohl ihrer.

Wie beim Ballaphon-Auftakt vor vier Wochen, so ebbten die Lieder auch hier zum Finale hin ab, der Beifall eines diesmal größeren Publikums nahm allerdings reziprok von Vortrag zu Vortrag zu. Die „graue Eminenz“ Souleymane Touré war sogar mit seiner Videokamera gekommen, nach Ansicht von Herrmann einer der besten Percussionisten weithin, welcher „alles verwendet, was sich irgendwie trommeln lässt“. Seinem Auftritt am kommenden Donnerstag (20 Uhr) darf man gespannt entgegensehen. Afrika – Leben und Tod. Gerold Paul

http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/15.08.2005/1990321.pnz