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Pierre Granoux
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Von der inspirierenden Kraft eines verheerenden Hochwassers im Süden Frankreichs

Von Beate Eickhoff, Köln

Am 2. Oktober 1988 fiel im südfranzösischen Nîmes in wenigen Stunden so viel Niederschlag, dass ein Wasserstrom in einem längst überbauten Flußbett anschwellen und Häuser und Straßen überschwemmen konnte. Betroffen war auch das Atelier von Pierre Granoux. Der Künstler hatte seine Produktion der zurückliegenden Jahre bis dahin an diesem Ort in Sicherheit geglaubt. Für den Künstler war das Erlebnis, daß sich von jetzt auf gleich alles in Nichts auflösen kann, eine plötzliche Sensibilisierung für die Bedeutung der Dinge in der Gegenwart.

Ihr Verschwinden löst sie als Objekte auf, nicht aber als Idee, und aus den Erinnerungen an ihre Form lassen sich neue Dinge entwickeln. So spinnt sich die Geschichte einer Arbeit weiter und weiter. Vor den durchnäßten Überresten seiner Kunst ließ Granoux sich fotografieren und hielt damit eine Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft fest, den Ort und den Zeitpunkt, von wo aus er seine Reisen begann, um die Veränderung von Ideen und Dingen unter dem Einfluß neuer Orte zu betrachten.

 

 

 

 

In seiner künstlerischen Arbeit konzentriert sich Granoux auf Gegenstände, die er vorfindet, die Charakter genug haben, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er setzt zwei oder mehr Dinge in Beziehung zueinander, schafft dadurch neue Querverbindungen und neue Verweise wobei die Ästhetik der immer sehr überlegten und klaren formalen Inszenierung, die Konzentration auf eine archaische Grundform, auf Säule oder Fünfeck etwa, zugleich als Ruhepol und Katalysator funktioniert. Zufall gibt es bei Granoux nicht.

So ist der 2. Oktober nicht nur Jahrestag der Überschwemmung, sondern auch der Todestag Marcel Duchamps. Zu Duchamps Flaschentrockner hatte Granoux schon immer eine besondere, nicht künstlerische Verbindung. Seit seiner Kindheit kannte er das merkwürdige Utensil aus dem Weinkeller seines Vaters, bevor er an der Akademie von dessen Kunstcharakter erfuhr. Der Flaschentrockner ist von Granoux zerstört und sein Bild verfremdet worden, als ginge es darum, den Kunstcharakter, den Duchamp ihm verlieh, zu entzaubern, die Tabus der Kunstgeschichte zu brechen und so der Kunst neue Bereiche zu eröffnen.

Aus dem grafischen Motiv baut er eine Flaschentrocknersäule, zu sehen im Ausstellungsraum Jürgen Bahr, und schlägt so die Verbindung zur unendlichen Säule Brancusis. Oder er hat Bilder des Flaschentrockners in Flaschen verbannt und bietet sie in einem Regal wie guten Wein zum Verkauf an. Auf der gegenüberliegenden Wand ist das Foto von 1988 aus Nîmes zu sehen. Duchamps Ready-Made wartet nun dort als Geist in der Flasche oder als Flaschenpost auf seine Befreiung, während Granoux, die Flaschen im Blick, beobachtet, was weiter passiert.

Kölner Stadt Anzeiger (24.Juni 1999)

 

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