Galerie Peter Herrmann
Owusu-Ankomah

 

Die lebendige Vergangenheit

 

Ein Vortrag von Marie Pittroff , 1994

Die Bilder von Owusu-Ankomah sind unübersehbar. Auf manche wirken sie wie ein Überfall. Weder ihre Größe noch ihre intensive Farbigkeit erlaubt ein Ausweichen. Diese Bilder sind direkt und unmittelbar. Hier macht ein Maler einfach seine Sache, ohne sich um Kunsttrends oder um Strategien zu kümmern, und wie die meisten zeitgenössischen afrikanischen Maler, hält er sich auch nicht lange auf bei der Frage, ob das Malen von Bildern im Video- und Computerzeitalter anachronistisch sei.

Der Künstler wurde 1956 kurz vor der Unabhängigkeit im westafrikanischen Ghana als Angehöriger des Akan-Volkes geboren. In der Hauptstadt Accra studierte er an dem 1969 gegründeten College of Art Ghanatta, und dort begann er seine künstlerische Laufbahn. Seit 1986 lebt und arbeitet der Künstler in Deutschland in der Gegend von Bremen. Seine Arbeiten sind seitdem in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in der ganzen Welt zu sehen. Besonders hervorzuheben seine Teilnahmen an verschiedenen Biennalen wie Dakar, Havanna und 1999 auch Johannesburg.

Owusu Ankomah ist ein Mensch zweier Welten, und das nicht nur aufgrund seiner Biographie. Die Jahre, die er in Deutschland verbrachte, waren für ihn grundlegend: sie sind gekennzeichnet von einer fortwährenden künstlerischen Auseinandersetzung sowohl mit der eigenen afrikanischen Tradition als auch mit den westlichen Techniken und Stilen. Der Reichtum seiner eigenen Kultur ist ihm erstmal in der Fremde so richtig bewußt geworden. Diese Auseinandersetzung prägte die Entwicklung zu einer sehr eigenständigen malerischen Position.

Der Künstler selbst begreift seine Bilder als Einladung zu einer Reise in die Vergangenheit. In ihnen mischen sich verschiedene Zeitebenen: die Felsenmalerei der Steinzeit, die Renaissance mit Einflüssen von Michelangelo, die vorkoloniale afrikanische Kunst, die Graffiti der Neuzeit. In der Tat verkörpert diese Arbeit ein eigenwilliges Treffen der afrikanischen Welt mit dem westlichen Kunstschaffen der Vergangenheit und der Moderne. Der Künstler hat diese verschiedenartigen Traditionen erforscht, sie sich angeeignet, sie umgewandelt und miteinander vereinigt, um daraus einen schmucklosen, kraftvoll-expressiven Stil zu formen.

Solch eine Kunst der wechselseitigen Durchdringung und Vermischung oder, anders ausgedrückt, des Synkretismus kann man in gewisser Weise mit einer der berühmtesten afrikanisch-amerikanischen Schöpfungen vergleichen, mit dem musikalischen Idiom des Jazz, über das der deutsche Schriftsteller Hans Christoph Buch in einem Essay sagt: Jazz ist Grenzüberschreitung und Metamorphose, eine Bastardkunst, die mit einem erfrischenden Mangel an Respekt, Stile und Formen, das musikalische Erbe ganzer Epochen und Kontinente durcheinanderwirbelt.(...) Der Jazz spricht, wie alle Kunst, eine für jeden zugängliche Universalsprache, zu deren Erlernung keine ethnographischen Spezialstudien erfor-derlich sind. Genau solch eine künstlerischer Universalsprache zu sprechen, hat sich auch Owusu Ankomah zum Ziel gesetzt.

Das zentrale Thema seiner Bilder ist der Mensch. Die sorgfältig angelegten und ausgeführten Kompositionen zeigen immer wieder neue und unerwartete Variationen eines wiederkehrenden Bildprinzips: realistisch aufgefaßte vereinzelte Figuren oder Figurengruppen, die sich auf einem großflächigen, abstrakt-ornamentalen Bildhintergrund abzeichnen. Diese meist männlichen, kraftvoll-athletischen Figuren sind nackt dargestellt, im Augenblick der Ruhe, des Kampfes, der Bewegung, des Tanzes oder des religiösen Rituals. Manche tragen die traditionellen sakralen Masken ihres Volkes. Die Figuren sind durchgehend geschmückt mit rituellen Gesichts- und Körperbemalungen, deren Motive meist in den geometrischen Ornamenten im Bildhintergrund wiederaufgenommen werden. Die Gestalten sind ohne die Assistenz von Gegenständen, ohne Andeutung eines sie umgebenden konkreten Schauplatzes dargestellt. Keine Details lenken von dem in dem ornamentalen Muster eingefügten Menschen ab, und keine unterge-ordneten Elemente mildern die hieratische Strenge des einfachen frontalen Bildaufbaus. Eine äußerst reduzierte, überwiegend auf den chromatischen Dreiklang Schwarz Weiß Rot beschränkte Farbauswahl steigert die dramatische Wirkung dieser in der Komposition und in den Formen sehr vereinfachten Bilder.

Über die Identität der dargestellten Figuren geben oft die Bildtitel Aufschluß. Namen wie z.B. Senufo, Wabembe, Baluba, oder Bobo, bezeichnen west- und zentralafrikanische Völker. Diese sind hier bekannt durch ihre künstlerischen Werke, ihre Masken, Figuren oder Objekte, die als Museumstücke nach Europa gebracht wurden. In seinen Bilder betont Owusu Ankomah die ursprüngliche Bedeutung dieser Werke: Die Masken, die die Figuren tragen sind authentische Masken. Sie hatten und haben ihren festen Platz in den unterschiedlichen Riten der Menschen. In ihnen und in den Maskenträgern verkörpern sich Götter und Ahnen, Wald und Tiergeister. So drücken sie die tiefsten menschlichen Gefühle aus. Auch wenn der kulturelle Ursprung der Masken sehr vielfältig ist, sehe ich ihre Ähnlichkeit im Ausdruck der unheimlichen Kraft und Heiligkeit der Natur. Andere Bildtitel spielen auf die afrikanische Diaspora in Amerika an: African American 500 erwähnt den fünf Jahrhunderte währende Leidensweg jenseits des Atlantiks und ermahnt dazu, diese aus Sklavenarbeit, unmenschlicher Unterdrückung und Erniedrigung bestehende Geschichte nicht zu verdrängen. Capoeira hingegen weist auf einen sehr populären afrobrasilianischen Kampfsport hin, der, als Tanz getarnt, früher den revoltierenden Sklaven Bahias als Instrument des Widerstandes diente. Dem nordamerikanischen Breakdance wesensverwandt, verbinden Capoeira und die dazu gehörig Lebensphilosophie so Gegensätzliches wie Tanz und Kampf, Ästhetik und Gewalt, Ritual und Spontaneität, Magie und Realitätssinn, und, dies sind genau die Themenfelder, die Owusu Ankomah in seinen Bildern immer wieder umkreist.

Der Maler verweist auf die vitale Präsenz der afrikanischen Kultur sowohl in der Alten als auch in der Neuen Welt. Er beschwört eine gemeinsame schwarze Identität vermittelt durch afrikanische Kunstformen und die darin eingravierten Ideen- und Gedankenwelt. Diese wurden zum Teil auch nach Amerika verpflanzt und dort sind sie in verwandelter Form neu erblüht. Viele seiner Bilder könnten als den Versuch einer poetischen Rekonstruktion dieser transatlantischen Tradition gesehen werden. Es ist eine gemeinsame Tradition, die auf den afrikanischen Ikonen, Liedern, Sprachen, Kosmogrammen, Farben, Gesten, Tänzen, Rhythmen und Symbolen beruht, die diese verschleppten Menschen als einziges Gut mit in die Fremde nehmen konnten und die dort für sie zu wichtigen Überlebenshilfen wurden. In beiden Welten hat sich gezeigt, wie unverwüstlich die poetisch- spirituelle und künstlerische Ausdruckskraft dieser Elemente ist.

So bilden die künstlerische Vielfalt und Dynamik, aber auch die oft problematische Geschichte und Gegenwart Afrikas und seiner weitgestreuten Diaspora ein wichtiges thematisches Feld für diese eigenwilligen Bilder. In anderen wird jegliche Form der Apartheid, des Rassismus oder der faschistischen Gewalt angeprangert, denn für Owusu Ankomah wie für die zeitgenössische afrikanischen Künstler im Allgemeinen, bilden souveräne künstlerische Ästhetik und politisch-gesellschaftliche Aussage keine unvereinbaren Gegensätze.

Die Figuren der großformatigen Arbeiten sind meist von monumentaler Gestaltform. Der Maler zeigt oft ein Bild des Menschen im klassischen Habitus mit deutlichen Assoziationen an den männlichen Akt der Renaissance, wie z.B. in Trackers, Kampf oder Gothic Piéta. Eine fast unerschöpfliche Kraft und Vitalität scheint in diesen stilisierten, linear umrissenen Figurendarstellungen konzentriert zu sein. Die machtvolle Physis dieser Athleten vermittelt ein Gefühl der Stärke, des fast ungetrübten Vertrauens auf den Körper, das wir von den Figuren Michelangelos her kennen. Die Anlehnung an diesen Renaissancekünstler ist besonders in der Präzision der Zeichnung, dem schwingenden Linienverlauf der bewegten Konturen und der skulpturalen Monumentalität der Figuren spürbar. Auch hier wird der Athlet als Ausdruck einer positiven sowohl körperlichen als auch spirituellen Energie, als eine Art Metapher eines ungebremsten Elan vital gedacht. Diese Darstellung der menschlichen Energieentfaltung, der reinen Lust an der Bewe-gung soll belebend, kraftspendend wirken, und gerade die wiedererstarkte Lebenskraft bei dem Betrachter kann für diesen eine wesentliche Quelle des ästhetischen Vergnügens an diesen Bildern sein.

In den kleinformatigen Bildern Erotika I, Erotika II, Confrontation oder Abwehr finden wir hingegen Anklänge an das frische, witzige Vokabular des zeitgenössischen Graffitistils. Die Zeichnung ist hier von ungestümer, skizzenhafter Knappheit. In diesen Darstellungen von schlicht konturierten Figuren, umge-ben von freien graphischen Kritzeleien, werden die karikaturistischen Vereinfachungen der Cartoon- und Comicbildsprache mit den spontanen Erfindungen der Straße verbunden.

Auffallend ist auch die vitale, fast unmittelbar körperliche Wirkung der Farbe; in zahlreichen Bildern, wie z. B. in Kampf, Wrestlers Two, Wabembe, Tanz oder Gothic Piéta trumpft ein kraftvolles, leuchtendes, sattes Rot auf. Diese sehr laute, fast aggressive Farbe aktiviert bis zum Äußersten den bewegten ornamen-talen Bildhintergrund und drängt nach vorne auf den Betrachter zu. Die klassische Hierarchie zwischen Figur und Hintergrund wir dadurch aufgehoben, und beide Elemente werden bildnerisch gleichrangig. Der Maler verwendet fast überwiegend die sehr stark miteinander kontrastierenden Farben Schwarz, Weiß, Rot, einen effektvollen Dreiklang, der im west- und zentralafrikanischen Farbsymbolismus eine grundlegende Rolle spielt. Man findet ihn immer wieder auf den traditionellen Masken und Figuren, besonders in der Kongozivilisation, aber auch auf den Altären der synkretistischen afro-amerikanischen Kulte der Karibik und Brasiliens. Über die Bedeutung dieser mächtigen Farben für das Akan-Volk in Ghana sagt der Maler: Sie stehen für Leben und Tod, Freude und Trauer, für die Erde selbst. Rot ist immer auch die Farbe von Gewalt. Weiß bedeutet Unschuld und Sieg. Wenn die symbolische Bedeutung dieses triadischen Farbschemas sich auch je nach Volk oder Region leicht unterscheidet, so bleibt Weiß immer ein konstanter, positiver Pol der Harmonie, während Rot und Schwarz viel ambivalentere Bedeutungen zukommen.

Owusu Ankomah bemüht auch die Tradition mit seinen im all-over Prinzip die ganze Bildfläche überzie-henden Mustern. Durch diese wird eine sowohl formale als auch inhaltliche Verbindung zwischen den eher realistisch und plastisch aufgefaßten Figuren und dem linear -abstrakten Bildhintergrund hergestellt. Der Maler verwendet die klassisch afrikanische rhythmisch-strukturierte Ornamentik mit ihren hart gegeneinander abgegrenzten geometrischen Farbflächen, so wie z.B. das Schachbrettartige Muster in Große Senufo, Bobo und Wabembe oder die Rauten- und Dreiecksmuster in Tanz und Dundo. Diese Systeme von Rechtecken, Dreiecken, Rauten und alternierenden Streifen oder von kreisartigen und kurvilinearen Motiven hatten traditionell nicht nur eine ästhetisch-dekorative Funktion. In den Farben und der Unterteilung der Muster wurden den initiierten Informationen, Bedeutungen und Symbole kommuniziert. Afrikanischen Kunst war immer aufs engste mit dem Wissen beziehungsweise dem Geheimwissen über die ewigen Kräfte der Natur, der physischen und spirituellen Welt verbunden und sie war maßgeb-lich an den Prozessen des Lehrens und der Offenbarungen beteiligt. Sowohl praktisches als auch esoterisches Wissen wurde in diese abstrakten Muster einkodiert, diese blieben aber als Text immer schillernd vieldeutig und nie für alle ganz entschlüsselbar. Owusu Ankomah stellt eindeutig die zeitlose, für heutige Begriffe minimalistische Ästhetik dieser geschichtsträchtigen Ornamentik in den Vordergrund und läßt sie einfach monumental im Bildraum schweben.

Wesentlich eindeutiger ist der semantische Inhalt der schwarzen großflächigen dekorative Zeichen und Ideogrammen, die in Trackers, Crossed, Torso Rückwärts Drei und Helping Hands eine absolut bildbe-herrschende Stellung einnehmen. Hier handelt es sich um Adinkra genannte, abstrakte Figuren oder Formen und diese sind in Ghana allgegenwärtig und für die Kunst und Kultur der Akan-Zivilisation bestimmend. Wie die Piktogramme unserer Gegenwart, die die sprachlose, schnelle Kommunikation in den Städten ermöglichen, besitzt auch jedes dieser Adinkra-Symbole eine präzise Bedeutung. Diese Symbole bringen sowohl die für die ghanesische Kultur wesentliche Philosophie der ständigen Kommunikation mit den unsichtbaren Aspekten des Lebens als auch in Sprichwörter gefaßtes Alltagswissen zum Ausdruck. Bei diesen klaren Zeichen ist das Erzählerische, die Inhaltlichkeit genau so wichtig wie das Ornamentale, der Schmuck, wenn sie auch der Maler sehr wirkungsvoll als abstrakte Kompositionselemente ins Bild setzt. In dem großformatigen WerkTrackers sind drei männliche Figuren gerade im Begriff ein Rennen zu starten, sie stehen in einem Konkurrenzverhältnis, jeder will den Wettkampf gewinnen. Die Figuren und der Hintergrund werden beherrscht von den großen sich wiederholenden Adinkra-Symbole, deren Bedeutung die Assoziation an einen positiven sportlichen Wettstreit unterlauft. Die Zeichen mahnen zur Einheit der Menschen, weil es ein unteilbares gemeinsames Schicksal verbunden sind. Sie sollen sich selbst erkennen, sich verändern und sich angstfrei gegenübertreten.

Die sinnliche, lebendige Darstellung skulpturaler Körper verbindet diesen Maler mit dem bekannten Bildhauer Ousmane Sow aus Senegal: beide haben der für uns eher traditionellen realistischen Bildsprache eine neue unerwartete Ausdruckskraft geben können. Mit dem Maler Bakani Ouattara aus der Elfenbeinküste hat Owusu Ankomah die Faszination für abstrakte Zeichen und Motive gemeinsam. Das zeitgenössische afrikanische Kunstschaffen ist bei uns leider noch weitgehend unbekannt aber dieser Kontinent ist künstlerisch im Aufbruch. Gerade diese drei afrikanischen Künstler stehen für eine sehr interessante Synthese von Tradition und Modernität, für eine spezifisch afrikanische postmoderne Sichtweise, die dem Konzept einer transkulturellen Ästhetik neue Impulse geben.

Marie Pittroff , 1994


Galerie Peter Herrmann