Rede zur Eröffnung der Ausstellung Asphaltblumen von Doris M. Peckhaus über die Künstlerin Marie Pittroff im Thalhaus, Wiesbaden, 19. November 2000

Meine Damen und Herren, liebe Marie,

Marie Pittroff, die Künstlerin, hat mich gebeten, einige persönliche Anmerkungen zu ihrer Ausstellung zu machen und ich habe zugesagt, gerne zugesagt, aus zweierlei Gründen, zum einen, weil mich ihre Bilder ganz persönlich ansprechen, bewegen oder auch herausfordern, und zum anderen, weil ich ihr, der Marie Pittroff, schon lange ganz persönlich sehr verbunden bin: wir kennen uns, verstehen uns, ich glaube jetzt mehr als ein Vierteljahrhundert lang.

In dem, was ich sage, geht es also nicht um eine irgendwie geartete kunsttheoretische Betrachtung oder Wertung, sondern um den Versuch, klarzustellen, was mich bewegt, in der Hoffnung, dass Sie, liebe Gäste dieser Veranstaltung, Ähnliches empfinden.

Ich fange also an mit meiner ersten Anmerkung, es werden nur drei weitere folgen, die alle so beiläufig und banal sind, wie es Anmerkungen unter Freunden oder langjährigen Vertrauten so an sich haben.

Ich sage also: Marie, ich finde Deine Bilder schön.

Ich finde sie schön, weil ich den Eindruck habe, dass sie eine bestimmte Sehnsucht zum Ausdruck bringen, einen Traum, den Traum von einer bestimmten Klarheit, Schönheit, auch der Liebe zu einer Person, einem Gesicht, einem Ausdruck in diesem Gesicht oder einer bestimmten Haltung. Auch die Palmen oder die Schatten der Palmen empfinde ich als Chiffren für Sehnsucht, Sehnsucht nach einem Ort, der Aufenthalt bieten könnte.

Und dennoch stimmt irgendetwas nicht an diesem Traum. Denn je mehr ich mich in ihn vertiefe, desto weniger scheinen die Bilder, die ich betrachte, ihn mir zu bestätigen, sodass ich schließlich verwirrt bin.

Ich sage also: Marie, bei näherer Betrachtung finde ich Deine Bilder unverständlich.

Sie erscheinen mir zunächst nur anschaulich, sind aber schließlich rätselhaft. Ich habe den Eindruck, dass sie eine Wirklichkeit abbilden, die dennoch unwirklich bleibt. Die Ähnlichkeit mit realen Erscheinungen wird bei näherer Betrachtung nicht eingelöst, der Traum ist nicht wahr.

Durch die feine Unschärfe ist es mir unmöglich, klar durch das Bild hindurchzusehen und mich ganz auf das Dargestellte zu konzentrieren. Die Stadtlandschaften und Gesichter verbleiben in einem schönen oder auch problematischen Schwebezustand zwischen Erscheinen und Verschwinden.

Und dieser Schwebezustand, Schleier über der Wirklichkeit bewirkt, dass das Medium präsent bleibt, die Malerei, dass wir wissen, die Bilder handeln nicht einfach von dem, was sie darstellen, sie thematisieren vielmehr ihr eigenes Verhältnis zur Realität. Und möglicherweise wollen sie auch andeuten, dass jeder Anspruch auf eine objektive Wiedergabe der Realität illusorisch ist, dass alles Gegebene eine bestimmte Unfasslichkeit besitzt und sie auch dann behält, wenn wir all' unsere Kräfte und Fähigkeiten einsetzen, um ein möglichst objektives Abbild zu schaffen.

Damit nur noch das, was wirklich und greifbar ist, zur Geltung kommt, dafür nimmt sie sich selbst, die Künstlerin, Marie Pittroff, ganz zurück und muss schließlich doch notieren, dass sie das, was sie halten wollte, Lou Reeds Gesichter oder die Stadtlandschaften, ihre Schönheit und Fazination, nicht richtig festhalten kann.

Dazu möchte ich Dir sagen Marie: Ich finde das klug und mutig.

Ich finde Bilder klug, wenn sie mir die Illusion, die sie erzeugen und die ich eigentlich von ihnen erwarte, auch rauben. Bei näherer Betrachtung rauben mir Deine Bilder die Illusion, Abbilder der Wirklichkeit zu sein und behaupten sich als Malerei.

Klug finde ich auch, dass das entscheidende Mittel, die Illusion zu schaffen, auch das entscheidende Mittel ist, sie wieder zu zerstören: Die feine Unschärfe, sie macht alles schöner und bezeichnet es gleichzeitig als unfassbar oder vielleicht sogar als illusorisch.

Klug gemalt heißt also auf die Bilder der Marie Pittroff bezogen, dass die Grenzen der Malerei - oder soll ich sagen: unserer Erkenntnis - bewusst sind, dass sie nicht überschritten, sondern spürbar werden, und dass dies, so empfinde ich es jedenfalls, auch wehtut.

In diesem Sinne, sage ich Dir Marie, besitzen Deine Bilder auch etwas sehr Extremes, vielleicht sogar Irrsinniges.

Sie behaupten, dass es richtig ist, Schönheit oder etwas Heiles zu suchen und sie behaupten gleichzeitig, dass es möglicherweise sinnlos ist. So wird auch die Geschichte, die Du von Lou Reed erzählst durch die Reihenfolge der Bilder wieder in Frage gestellt. Es ist nicht die richtige Reihenfolge: Richtig wäre, dass wir anfangen mit dem schönen jungen Gesicht, das zwischen dem Prinzen von Homburg und Eleonora Duse steht. Weiter geht es mit dem Abbild, das an James Dean erinnert, d. h. an die Revolte der Jugend, die in ihrem Aufbegehren gegen die herrschenden Konventionen in Gefahr geriet, sich selbst zu zerstören. Und so weiter bis zu den zwei Bildern von Lou Reed mit Brille und Falten, die ihn bescheiden zeigen und auch selbstsicher, sehr viel unspektakulärer als vorher, den Blick nicht mehr nach Innen oder auf sich selbst gerichtet, sondern jetzt auf das Gegenüber.

Das ist eigentlich eine schöne Geschichte, tröstlich für die Angehörigen der beteiligten Generation, aber auch erbaulich für jeden, der sie ganz zeitunabhängig als Parabel für Menschenmögliches begreifen will.

Aber was macht Marie Pittroff? Sie zerstört die erlösende Folge der Bilder und behauptet, wenn ich sie richtig verstehe: Aufgepasst, alles was einander folgte und divergiert, existiert vielleicht auch gleichzeitig. Die erzählte Geschichte ist also eine Geschichte, ist aber gleichzeitig auch keine Geschichte und beides zugleich kommt der Wahrheit vielleicht am nächsten. Vielleicht hast Du recht Marie, vielleicht ist es falsch zu meinen, wir, die um die Fünfzigjährigen, hätten den Prinzen von Homburg in unseren Herzen längst überwunden.

Ich komme zum Schluss und fasse zusammen, indem ich Gerhard Richter von 1982 zitiere, er sagt:

"So sind Bilder umso besser, je schöner, je klüger, je irrsinniger und extremer, je anschaulicher und unverständlicher sie im Gleichnis diese unbegreifliche Wirklichkeit schildern. Die Kunst ist die höchste Form der Hoffnung."

Und ich sage,

Marie, für diese Kunst, diese Bilder, diese Hoffnung, die mich an Sisyphos erinnert, der ja "dennoch" ein glücklicher Mensch war, danke ich Dir.

Doris M. Peckhaus Kulturreferentin, Landtag Rheinland-Pfalz