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Galerie Peter Herrmann
Klaus Schnocks-Meusen

Eröffnungsrede zur Ausstellung Pánta rhei - Theatergalerie, Mönchengladbach

Sehr geehrte Damen und Herren.

Schon der erste Kontakt mit den Bildern von Klaus Schnocks-Meusen macht süchtig. Auf neun großen Leinwänden zeigen sich in perfekt-realistischer Manier seltsame Szenen, die von der Verbindung von Gegensätzen leben. Landschaft und Figur, Mensch und Technik und immer wieder alte Mythologie und aktuelles Gedankengut finden in den Arbeiten zueinander und machen diese dadurch zu einer nicht versiegenden Quelle der Erkenntnis. Thematische Brüche, Spalten, Öffnungen und Durchblicke beherrschen die Bilder und erzählen anschaulich von der Vielgesichtigkeit von Welt. Uniformität ist dieser Welt ebenso unbekannt, wie die Beschränkung auf das Eine. Bipolarität ist ihr wichtigstes Merkmal, eingefangen im Bild durch die gekonnte Überlagerung von Motiven in lasierender Maltechnik.

Das Bild mit dem Titel "Die Revolution sucht neue Sklaven" konfrontiert zwei in Rückenansicht wiedergegebene, aus dichtem Dschungel kommende Dunkelhäutige, mit dem zentralen Motiv einer Computerplatine deren einzelne Bauteile sich wie Schlingpflanzen zu allen Seiten Wege suchen. Die Platine beherrscht eine Tür, die den Blick durch eine aus schweren alten Steinen errichtete Mauer auf dahinterliegende neuzeitliche Architektur ermöglicht. Der Blick der beiden Eingeborenen ist auf diese Schwelle gerichtet, die ihre eigene Welt von der jenseitigen, anderen fremden Welt trennt. Noch ist die Haltung der beiden "Primitiven" eine stolze, noch haben sie von ihrer eigenen Kultur, ihrem eigenen Leben nicht ganz Abschied genommen. Noch sind sie Teil ihrer Welt, kenntlich gemacht in diesem Bereich durch die farbliche Verschmelzung von Figur und Grund. Doch unweigerlich nehmen die Errungenschaften der Technik ihren Lauf. Wie ein ausuferndes Krebsgeschwür scheint sich die auf der Schwelle befindliche Platine der Welt der Eingeborenen zu bemächtigen. Es scheint beinah so, als drängte sie sich durch das enge Schlupfloch, auf der Suche nach neuen Opfern. Tatsächlich erscheinen die Gewänder der beiden Figuren wie angefressen. Und während der Linke noch seinen Stammesstab bei sich hat, ist der Rechte bereits schon mit einer Nummer auf der linken Schulter versehen, die ihn als registriert kenntlich macht. Computerplatine und moderne Architektur sind Zeichen für das Informationszeitalter. Wie eine Revolution ist dieses über die Menschen gekommen. Kaum einer kann sich den rasenden Entwicklungen der Technik entziehen und jeder, der beispielsweise ein defektes Telefon erlebt hat, kennt unsere Abhängigkeit von der Technik. Immer mehr Menschen verschreiben sich der scheinbar unaufhaltsamen Entwicklung moderner Technologie. Segen und Fluch reichen einander die Hände und warten allein auf unser Verhalten.

Das große Querformat mit dem Titel "Schatten hinterlassen keine Spuren" zeigt eine seltsame Landschaft, die rechts durch die Skyline von Venedig flankiert wird, wohingegen auf der linken Seite seltsame Leere herrscht. Zentral bricht ein eigenwilliges Gesteinsmassiv aus dem Boden auf, was der gesamten Arbeit einen surrealen Charakter verleiht. Obwohl zahlreiche Menschen zu erkennen sind, herrscht kein richtiges Leben. Die schwefelige Farbpalette vermittelt ein Gefühl von Trostlosigkeit und läßt an die unwirtliche Oberfläche eines fremden Planeten denken. Bedrohung liegt in der Luft, nicht genau definiert, aber unverkennbar evident.

Die Arbeit "Neubeginn und Abschied" führt uns in eine Mangroven-Sumpflandschaft mit einer einfachen Hütte auf Pfählen. Auffallend sind die fenstergleichen Bereiche, die den Blick erneut auf die angedeutete Architektur von Venedig ermöglichen. Im Rausch der Farben und Schichten ist rechts die Kontur einer Person auszumachen, die aus der Hütte in eine andere Zeit zu blicken scheint. Sowohl Venedig als auch die Sumpflandschaft sind nur schemenhaft wiedergegeben und gleichen dadurch einem Gedanken, der verschwommen zwischen Räumen und Zeiten umherirrt auf der Suche nach Erinnerung. Beide Welten sind Zeugen unüberschaubarer Pracht und Vielfalt und gleichermaßen mehr und mehr dem Untergang geweiht.

Klaus Schnocks-Meusen bezieht in seinen Bildern Position. Sein Standpunkt ist der des Beobachters. Als solcher verfolgt er soziale, technische und gesellschaftspolitische Entwicklungen, um diese als Fakt in seiner Malerei zu benennen. Mittel zum Zweck ist die Form des lasierenden Farbauftrages. Er ermöglicht dem Künstler, unterschiedlichste Motive und Inhalte zu einer Einheit zu verbinden. Faszinierend und süchtig machend sind hier insbesondere jene Momente auf der Leinwand, wo jener Augenblick der Metamorphose eines Motives in ein anderes zu beobachten ist. Jede Arbeit zeugt von solchen Sequenzen, an denen sich die angesprochenen Entwicklungen nachweisen lassen.

Bewußt lenkt Klaus Schnocks-Meusen über den Bildaufbau die Blicke der Betrachter. Grundsätzliche Basis einer jeden Komposition ist eine gedachte Keilform, die sich in die Tiefe der Arbeit erstreckt, oder aus ihr in den Raum ragt. Entlang ihrer Flanken wandert der Blick zu zentralen und wichtigen Motiven wie etwa der Computerplatine oder dem Bergmassiv. Der kompositorische Keil unterstützt das Räumlichkeitsempfinden des Betrachters, und läßt ihn dadurch intensiv in die Tiefe der Bilder eintauchen. Zugleich ist die Wanderung entlang der Keilflanken auch als zeitliche Bewegung angelegt, die die Verbindung von Alt und Neu unterstreicht.

Neben dem kompositorischen Dreiecksaufbau finden sich in einigen Arbeiten Symmetrien wieder. Das Bild "Fiebertraum oder der philo-soziologische Spiegel" zeigt beispielsweise zwei an den Alptraum des Fallens erinnernde Hände links und rechts sowie zwei schroffe, durch Brüche markierte Wege, die auf das zentrale Motiv des Wasserfalls führen. Das Motiv der beiden Eingeborene ist es im Bild "Die Revolution sucht neue Sklaven", das sich rechts und links wiederholt, und in der Arbeit "Schatten hinterlassen keine Spuren" finden sich keilförmig zulaufende Begrenzungen auf beiden Seiten. Deutlich wird aber auch, daß die auf Symmetrie angelegte Malerei von großen Abweichungen leben. Denn immer gibt es mal mehr oder weniger stark ausgeprägte Unterschiede. Diese "beinah Spiegelungen", wie sie sich letztlich dem Betrachter anbieten, sollen alles in Frage stellen, was im Prinzip so klar erscheint. Denn wenngleich auch die Malerei dank ihrer Technik brillant erscheint, so ist Klarheit im Sinne von Eindeutigkeit keinesfalls gegeben. Vielmehr vermitteln die Bilder eine permanente Veränderung, ein Wandeln einer Situation in eine andere. Klaus Schnocks-Meusen formuliert in seiner Malerei Übergänge, keine Zustände.

Die Idee des Fließens, der Bewegung innerhalb einer Zeitreise, unterstreicht das titelgebende Werk der Ausstellung "Pánta rhei", das den gleichlautenden Ausspruch des Heraklit zitiert. Das zentrale Motiv eines Kanals in Venedig wird rechts und links gestreift vom Bildnis einer Venusdarstellung. Erneut vermeidet Klaus Schnocks-Meusen die exakte Spiegelung der Figur, sondern er beschränkt sich vielmehr auf ihre vage Andeutung vornehmlich im linken Bereich. Insgesamt dreimal ist das Motiv, Inbegriff der Schönheit, im Bild anzutreffen, allemal aber in ruinösem, sich auflösendem Zustand.

Auflösung, sich auflösen, verschwinden ist das Thema der Venus, die dadurch korrespondiert mit dem morbiden Charakter der vom Untergang bedrohten Stadt Venedig. Geradezu spürbar ist die üppige Vegetation im Bild, die zahlreichen Zeichen für Natur, die sich der gesamten Bildfläche zu bemächtigen und alle Motive an sich zu reißen scheinen. Auflösung aber meint auch, dem Vergessen ausgesetzt sein. Denn Venedig, die Venus, viele Hochkulturen sind aus heutiger Sicht vor dem Spiegel der von Technik geprägten Entwicklungen kaum noch faßbar. Neueste Techniken ermöglichen zwar beispielsweise immer exaktere Bestimmung von Alter und Herkunft verschiedener Kulturgüter, versorgen auch weltweit mit Information über die gemachten Erkenntnisse, finden dabei aber keinerlei sensuellen Anschluß an das eigentliche Objekt. Dem Menschen des Informationszeitalter geht dadurch letztlich der wirkliche Bezug zu diesen verloren.

Auffallend am Werk von Klaus Schnocks-Meusen ist noch seine Maltechnik. Aus hunderten kleinen Tiegeln und Töpfen trägt er die selbst gemischten Farben mit kleinen und kleinsten Pinseln, aber auch in Schütt-, Wisch- und Kratztechnik auf die großen Leinwände auf, sorgfältig geschult an der Kunst der alten Meister. Der Umgang mit Farben, Mischen und Experimente liegen ihm nahe, da er mehrere Jahre als Chemielaborant gearbeitet hat. Dieser Beruf sowie seine Forschungstätigkeiten bei der Bayer AG Dormagen ebenso seine Studien insbesondere der Mathematik und Informatik waren an strenge Regeln und große Ordnung gebunden, Zwänge, die Klaus Schnocks-Meusen in seiner Eigenschaft als freischaffender Künstler strikt von sich weist. So arbeitet er bewußt an einem Bild nur so lange es keinen Zwang auf ihn ausübt. Nähert sich seine Arbeit psychisch und physisch der Grenze des Diktates, so unterbricht Klaus Schnocks-Meusen an dieser Stelle, um an anderer Stelle ein neues Bild oder einen neuen Gedanken zu formulieren. So verharrt der Künstler nie im Stillstand seines Werkes, sondern folgt einer permanenten Bewegung, ein Gedanke, der sein gesamtes Schaffen prägt.

Die Arbeiten von Klaus Schnocks-Meusen erinnern daran, Entscheidungen zu fällen. Ihre Bipolarität ist ein Spiegel der Doppelgesichtigkeit der Welt. Mahnung und Anklage liegt ihnen fern. Vielmehr wollen sie sichtbar machen, welche Möglichkeiten in der Vielschichtigkeit stecken. Überlagerungen von Alt und Neu sind nicht zwingend gleichzusetzen mit einer Wertung im Sinne von Gut und Böse. Entscheidend ist das Bewußtsein vieler Wege.

Pánta rhei - Alles fließt. Leben ist ein Prozeß, den es bewußt zu erleben gilt.

Dr. Christian Krausch
(Kunsthistoriker: Kunstverein Region Heinsberg)

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