Frankfurter Rundschau. 01.03.2002

Presseseite der Galerie Peter Herrmann


Neuköllner Nächte sind schwarz

Afro -Town mitten in Berlin: Es gibt Läden, Kneipen, Clubs, Literatur - und Papa Touré trommelt dazu

Von Guido Schirmeyer

In Neukölln boomt ein quicklebendiges Afro-Town. Mit afrikanischen Handy- und Lebensmittelläden, Autohäusern, Reisebüros, Restaurants und Rastalocken-Salons; und obwohl gestern der Black History Month mit einem prall gefüllten Musikangebot zu Ende ging, wird in den einschlägigen Kneipen, Clubs und Diskotheken durchgehend afrikanisches Kulturprogramm geboten.

Wie ein Wanderprediger pilgert der Senegalese Abdoullay Guissé, dichtender Lokalmatador, mit einem Léopold-Sédar-Senghor-Buch über die Bühnen. "Ein Mann des Westens kann sich schwer vorstellen, welchen Platz die sozialen Tätigkeiten und unter ihnen Literatur und Kunst im negro-afrikanischen Kalender einnehmen. Sie füllen nicht allein ,den Sonntag' oder ,die Theaterabende' aus . . .", liest Guissé aus dem Werk des Négritude-Vordenkers.

Auch Kreuzberger Nächte sind schwarz: Im Alten Kaufhaus an der Oranienstraße buchte dieser Tage eine 300-köpfige Familie aus Nigeria im vierten Stock den Festsaal des Türken Mürdür Balikci. Fernsehmonitore zeigten das Videostandbild einer jungen Verstorbenen, vor den Bildschirmen tanzte die Trauergesellschaft ihr Ritual bis in den Morgen.

Szenenwechsel: Ungläubig stehen zwei junge Nigerianer vor einem Neuköllner Lottoladen. Staunend klebt ihr Blick an der neonroten Leuchtschrift. Nicht zu fassen, da steht wirklich "TOTO" über dem Geschäft! "Yeah man", unter schallendem Gelächter geben sich die beiden den Handklatscher. Die Entdeckung des Wortes "Toto" über Lottoläden ist für Afro-Jungs nach ihrer Ankunft der große Lacher, und da gibt es viel zu lachen, denn Berlin erfreut sich täglich neuer Zuwanderer aus Afrika. Mehr als 30 000, meint Tam-Tam-Club-Betreiber Papus. "Toto", schmunzelt der Galerist Peter Herrmann, "heißt in Nigeria Vagina." Er muss es wissen. Zehn Jahre lebte der Stuttgarter in Nigeria und Kamerun. Vor einem Jahr zog er nach Berlin, um in der Hauptstadt moderne und authentische Stammeskunst zu zeigen. Vor wenigen Tagen bezog er mit seinem millionenschweren Fundus die alteingesessene Galerie Nothelfer zwischen Kudamm und Paris Bar. Zwar sind Neukölln und Kreuzberg Berlins Hochburgen für Afrikaner, doch sieht Herrmann auch vor seinem Uhlandstraßen-Schaufenster am Tage weit mehr Schwarze als früher in Stuttgart.

Herrmanns Freund ist Souleymane Touré, der Meistertrommler aus Abidjan, Elfenbeinküste, der einst für Miriam Makebas "Pata Pata"-Song trommelte und vor zehn Jahren vom Haus der Kulturen der Welt für eine CD-Produktion "eingekauft" wurde. Der Star-Percussionist, bald Mitte 60 und mit seinen fantasievollen Kostümierungen der Paradiesvogel von Berlin-Afrotown, packt gerade Pampers für seine Söhne in den Trommelrucksack. Tourés Sprösslinge David und Ben-Moussa sind Papas Stolz. "Die geben schon den ganzen Tag Konzerte."

Wenn "Papa", wie Souleymane auch in Berlins Musikszene genannt wird, seinen Söhnen auch nicht Lesen oder Schreiben beibringen kann, so doch die Sprache, die jeder versteht, "in aller Welt", beteuert er glaubhaft. Sogar der ehemalige Kulturstaatsminister Michael Naumann begriff rasch, als Touré ihm in der Deutschen Oper die Talking Drum vorspielte.

Meistens trommelt Souleymane Touré jedoch auf Berlins Multikulti-Bühnen, unermüdlich und oft ohne Gage. "Bei Benefizveranstaltungen kann ich Menschen unterstützen, die wenig besitzen, wie ich selbst", sagt Touré. Am 9. März schlägt er seine Trommelfelle bei einem Schöneberger Benefizkonzert (im PallasT, Potsdamer Ecke Pallasstraße) für die Angehörigen der Opfer der Feuerkatastrophe von Lagos, Nigeria.

In der Neuköllner Werkstatt der Kulturen, dem Epizentrum afrikanischer Subkultur, trommelt Touré am 15. März mit einem Dutzend Musikern für den Erhalt der Afro-Amateurzeitschrift Djelli. Mehr Unterstützung verdient indes das pfiffigere, brandneue Blite, eine Zeitung von schwarzen Jugendlichen im Verein "Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland" (ISD e.V.). "Worüber geschwiegen wird, reden wir", lautet deren journalistisches Motto.

Zum Beispiel Genitalverstümmelung. Gegen jene finstere Praxis singen am Montag im Kaufhaus Kato (im U-Bahnhof Schlesisches Tor) drei Frauen: die Madegassin MfA Kera, die Sudanesin Gihad Gibreil und die 25-jährige Westafrikanerin Djatou, die von ihrem Vater Souleymane Touré begleitet wird. "Auch ich wurde beschnitten", sagt die Tochter.

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Dokument erstellt am 01.03.2002 um 21:16:41 Uhr
Erscheinungsdatum 02.03.2002