Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung  "Der Stamm der weissen Krieger" von Ralf Schmerberg. Galerie im Thalhaus, Wiesbaden 1999

Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist mir wiederholt eine grosse Freude hier in Wiesbaden im Kulturverein eingeladen zu sein.

Marie Pittroff, erste Vorsitzende und künstlerische Leiterin der Galerie hat hier die Ausstellungsreihe lokal-global ins Leben gerufen. Als eine Ausstellung dieser Reihe sehen Sie nun den Fotozyklus Der Stamm der weissen Krieger von Ralf Schmerberg.

1991 besuchte mich in Begleitung eines Redakteurs ein mir bis dahin unbekannter junger Fotograf. Seine spontane Begeisterung für die Maskenkultur Afrikas freute mich, ist es doch auch eines meiner liebsten Themen. Er wolle "unbedingt auf mich zurückkommen, die Möglichkeiten schreien förmlich nach Umsetzung".

Ein Jahr später, ich rechnete eigentlich nicht mehr mit ihm, kam er wieder. Der Umweltgipfel in Rio de Janeiro faszinierte und bedrückte ihn. Das Spannungsfeld zwischen erster und dritter Welt begann ihn zu beschäftigen. Ich willigte ein, ihn in diesem Zugangsprozess zu begleiten und konnte nicht ahnen, dass ich mit dieser Zusage in ein Projekt involviert wurde, das im Folgenden zwei volle Jahre andauerte.

Ralf Schmerberg löcherte mich, hinterfragte, wollte wissen, hörte zu, stritt. Der erste Prozess war, ihn davon zu überzeugen, nicht auf die bekannteren und dekorativen Masken zu sehen, sondern ihre Umstände, Einsätze und Herkünfte in den Vordergrund zu stellen. Quasi die Individualität der Maske zu erfassen. Bis auf ein Objekt der ganzen Serie sind deshalb auch alle Masken authentisch im Sinne einer Gebrauchsherkunft.

Ralf legte also ein Konzept fest und begann sein ganzes Studio auf diesen Zyklus umzugestalten. Freunde bauten in mehrwöchiger Arbeit eine Lehmwand auf, die als einheitlicher Hintergrund und roter Faden die ganze Serie durchziehen sollte. Dass er nach einem Jahr das Studio wechselte und im neuen Studio alles naturgetreu nachbauen musste, sei hier am Rande erwähnt um ihnen damit ein Gefühl für den darin steckenden Aufwand zu geben. Um weiter mit Tageslicht arbeiten zu können baute er im neuen Studio extra eine Glaskuppel ein. Extra !

Er hat eine Arbeitsweise, in der jedes Problem der Idee untergeordnet ist. Für eine Vision versetzt er Berge. Eine experimentelle Phase begann. Wir konnten zu Beginn mit Masken aus meiner Sammlung, von denen Sie drei begleitend hier ausgestellt sehen, die ersten Fotos machen. Der qualitative Anspruch zeigte jedoch schnell die Grenzen meiner Sammlung. Es ist enorm aufwendig, Menschen und Masken in ein funktionierendes Zusammenspiel zu bekommen.

Fantastische Bilder entstanden, ich war fasziniert von der Aussagekraft und begann, die ersten Sammler mit der Frage zu kontaktieren ob sie uns einzelne Objekte für die Serie leihen wollen. Es ist sehr schwierig diese Heiligtümer von ihren angestammten Sockeln zu bekommen und ein ganzes Team von Studiomitarbeitern darauf zu erziehen, mit den sehr wertvollen Objekten sorgsam umzugehen. Doch wenn Ralf eine Vision hat, begeistert er sein ganzes Umfeld, er reisst mit. Auch nüchterne und abgeklärte Sammler. Ausnahmslos alle die wir angesprochen hatten überwanden ihre Angst vor einer eventuellen Beschädigung oder einer billigen inhaltlichen Deklassierung.

Alle beteiligten Menschen auf den Fotos sind Laien, die Ralf Schmerberg aufgrund seiner Eingebung durch die Maske suchte. Polaroidfotos der Maske als erster Schritt und dann das Finden eines Modells. Wenn Sie die Bilder durchsehen und beginnen diesen Gesichtspunkt anzudenken, bekommen Sie ein Gefühl für den Aufwand.

In einem der Katalogvorwörter beschreibt die Stuttgarter Journalistin Karin Stellwaag diesen Prozess sehr treffend. So etwa bei Bild zwanzig dacht ich immer, jetzt schafft er nichts mehr, da kann doch nichts mehr kommen, im Thema ist alles gesagt. Können sie sich meine Begeisterung vorstellen, mit jedem Bild die Überraschung zu erleben, dass er noch einen draufsetzte und noch einen - und noch einen.

Dann die Ausstellung. Um den Arbeitsprozess rituell zu beenden, rief der Topverdiener, der bereits gutes Geld in der Werbung verdiente, zu einem Event, den Stuttgart so noch nicht erlebte. Parallel zum Eröffnungsspiel der Fussballweltmeisterschaft kamen 1.500 Besucher in das alte Strassenbahndepot im Stuttgarter Westen. Einige in meinem Bekanntenkreis bezeichneten dieses perfekt inszenierte Spektakel als eines einprägendsten Erlebnisse ihres Lebens. Eine gigantische Multimediapräsentation, Musiker aus der ganzen Welt, über hundert Laiendarsteller und Helfer sowie ein brodelndes Publikum das immer mehr in einen spirituellen Akt einbezogen wurde.

Die erste Ausstellungsstation des Bilderzyklus war ein aufgelassenes Fabrikgelände der Südmilch in Stuttgart. In zwei Wochen hatten wir sage und schreibe zweieinhalbtausend Besucher. An den Wochenenden von Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag strömten bis in die Morgenstunden hunderte von Besuchern aus umliegenden Szenediscotheken in die Show, die keine Beleuchtung hatte. Ein Meer von Kerzen bewegte sich andächtig von Bild zu Bild. Keine Fotozeitschrift in der nicht mindestens ein Bild erschien. Das Journal Max alleine brachte damals acht volle Seiten.

Die Welt der Kunst wurde aufmerksam. Doch am schönsten war das Leben, das plötzlich im Bereich der Ethnologie entstand. Hier fanden die kontroversesten Diskussionen statt. Blasphemie wurde uns vorgeworfen. Was uns allerdings nicht so sehr interessierte. Konnten wir doch nicht sehen, wo dies stattfinden sollte zwischen der Entnahme von einem Sockel und einer Wiedereingliederung in eine neuen spirituellen Akt.

Erstaunlich waren eher die vielen Bedenken, ob wir damit nicht die ehemaligen Besitzer der Herkunftsländer brüskieren würden. Hier möchte ich auf das Vorwort von Mâitre Bernard Muna aus Kamerun verweisen, zu dem mich eine enge Freundschaft verbindet. In dem ausliegenden Katalog können Sie seine Begeisterung für die Arbeit aus der Sicht eines Afrikaners nachlesen.

Er reiste damals extra aus Kamerun an und hielt gemeinsam mit dem bekannten Designprofessor Kurt Weidemann die Eröffnungsrede. Noch einmal reiste er an um im Hamburgischen Museum für Völkerkunde zusammen mit dem Direktor Professor Wulf Köppke eine Einführungsrede zu halten.

Vier Monate und eine einmonatige Verlängerung wegen des regen Andrangs machten die Ausstellung zu einem riesigen Erfolg. Herr Professor Köppke sah im Zyklus Der Stamm der weissen Krieger den idealen Hintergrund für eine Diskussion wo Ethnologie und Kunst ihre Annäherung und auch ihre Grenzen haben.

In der bekannten Ausgabe der Neuen Bildendenden Kunst von 1995 Das Marco Polo Syndrom ist sein Beitrag nachzulesen. Für die internationale Diskussion um Globalisierung und Crossover-Bewegungen in der Kunst gilt dieses Heft als eines der wichtigsten Grundlagen. Es war wieder Bernard Muna, der uns dann die Türen in Kamerun öffnete für den Film Hommage à Noir, den sie nachher sehen können. Für diesen Film bekam Ralf Schmerberg so viele Preise, ich wusste bis dahin von Vielen gar nicht, dass es sie gab.

Apropos Preise. Die bekommt Ralf in nicht abreissender Reihung. Als Fotograf und Regisseur. In der Werbung heissen seine Auftraggeber Benelli, Lufthansa, Schiesser, Nike oder Sony. Seine Videoclips haben Sie alle irgendwo und irgendwann schon einmal gesehen. Mit den Toten Hosen etwa, oder alle drei momentanen Chart-Hits der Phantastischen Vier.

Am Ende meines Vortrages, vor einem kurzen Grusswort des Künstlers, noch ein Blick in die Zukunft. Eine Portraitserie, ausgeklinkt aus Hommage à Noir, wird in der Gallery Pace-Wildenstein-MacGill in New York ausgestellt und die nächsten Tage eröffnet. Ein Schmankerl der besonderen Art wird sein Spielfilm Poem, in dem er 22 Gedichte filmisch umsetzt. Er erscheint nächstes Jahr. Sie dürfen gespannt sein.

Noch ein Worte zum kommerziellen Hintergrund unserer Arbeit. Die Bilder aus dem Stamm der weissen Krieger sind im sogenannten Amerikanischen System zum Verkauf angelegt. Die nach oben unbeschränkte Edition wird nach genau festgelegtem, kontrolliertem und archiviertem System von Bild zu Bild teurer und somit wertvoller. In einer aushängenden Liste können Sie den aktuellen Stand und Preise ersehen.

Weiter können Sie eine Kassette des Film Hommage à Noir erwerben und noch einige Exemplare des fast vergriffenen Buches vom Stamm der weissen Krieger.

- und nun noch ein paar Worte von Ralf Schmerberg, der sehr gerne heute gekommen wäre:

"Liebe Besucher, Liebe Macher, hiermit möchte ich mich dafür Entschuldigen, daß ich persönlich nicht in der Lage bin bei der Vernissage vom "Stamm der weissen Krieger" dabei zu sein. Ich bin sehr stolz und dankbar, dass die Galerie des Kunstvereins ihnen diese Arbeit präsentiert. Aus dieser Arbeit heraus entstand mein Filmprojekt Hommage à noir. Bei beiden Projekten war Peter Herrmann ein wichtiger Begleiter, Ermöglicher und Freund. Ihm liegt das Afrikanische persönlich sehr nahe, durch ihn hatte ich die Möglichkeit einen Einblick in die weitaus unterschätzte Kultur der Schwarzen Mitmenschen zu bekommen. Meine persönliche Vorliebe ist nicht Afrika, es ist weit aus mehr, es ist der Respekt vor dem einzelnen und dem Ganzen. Es ist das Leben und andere Leben lassen. In diesem Sinne wünsche ich einen Guten Tag".

- und auch ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche viel Vergnügen.

Peter Herrmann