Galerie Peter Herrmann
  Marie Pittroff
Einführung. Martina Stauffer
 

Lou Reed - Thanks for Inspiration 

"Songs for Drella" - die intime Hommage von Lou Reed und John Cale an den verstorbenen Andy Warhol war die Initialz¸ndung f¸r die bildende K¸nstlerin Marie Pittroff, ihre pers–nliche, unsentimentale und intensive Beziehung zu Lou Reed in ihrem Werk abzubilden: wenn Musik und Text als Portr”t eines bildenden K¸nstlers funktionierten, warum dann nicht auch umgekehrt, warum soll eine bildende K¸nstlerin nicht einen S”nger und Dichter portr”tieren, einen Menschen ihrer Generation?

Marie Pittroffs Lou Reed-Bilder ersch–pfen sich so wenig wie Lou Reeds Musik, sie sind zeitlos. Und dennoch unternehmen wir jetzt eine kleine Zeitreise: zu Andy Warhol, Lou Reed, Velvet Underground und in das Bewuþtsein, das sich damals als "avantgardistisch" definierte: das, was Warhol machte, das, was Velvet Underground sangen, war zun”chst wenig zur Kenntnis genommen worden.

Erinnern wir uns an den urbanen "Zeitgeist" Mitte der 60er Jahre: Leben auf Messers Schneide, alles ist möglich, SEIN EIGENES GESETZ SEIN, kein Stillstand, die ganze Palette menschlicher Emotionen erscheint in Komplettheit als legitim und auslebbar, eine spannende, hochenergetische Zeit von künstlerischen Netzwerken: POP BEDEUTET, DASS JEDER ALLES KANN UND ALLES AUSPROBIEREN KANN, niemand muß jemandem etwas vormachen, alles kann real sein, der Wunsch, etwas besonderes zu tun, ist enttabuisiert, Kunst berührt den Rock-Kontext, Stimulation, Spiegelung, Sogwirkung.

Und mitten drin, mitten in New York City, der Stadt, die Lou Reed einmal als "seine DNS" bezeichnete, Andy Warhols Factory, damals noch "Silver Factory" genannt, vollständig mit Silberfolie ausgekleidet bzw. mit Silberspray besprüht, auch die Fenster; immer Nacht, immer künstliche Atmosphäre mit Neonlicht. Ein Drogennest für Speedfreaks, Aussteiger, Transen, verkannte Künstler, alle dropouts, deshalb aber zugleich auch Anziehungspunkt für den (Geld)-Adel mit Hang zur Dekadenz. Man mischte sich, man fotografierte sich dabei, filmte und tanzte, Warhol arbeitete. In der Factory hingen an den Wänden zerbrochene Spiegel: Symbol der Speedfreaks: ich sehe mich als zerbrochene Gestalt; einer war so neben dem einzigen Telefon plaziert, daß man sich beim sinnlosen Bla-Bla selbst bespiegeln konnte: eine hochenergetische, kreative, explosive, offene, miteinander verflochtene, mal authentische, mal stilisierte Mischung.

Velvet Underground waren Andy Warhols neuestes Ausstellungsstück, das dann ein Eigenleben bekam: z.b. durch die Verschmelzung von John Cales klassischem Background mit Lou Reeds aggressivem Rock'n'Roll und scharfkantiger Dichtung. Überhaupt die Texte: endlich mal keine "Friede-Freude-ich-hab'-dich-so-lieb"-Texte, sondern "Erwachsenenthemen", konfliktbeladene Themen, songs über die Dinge, die um einen herum passieren, verquere Texte über Tod, Schmerz, Leid, Perversion, integre Texte, düstere Texte, und trotzdem zart und engagiert, Außenseiter-songs und Liebeslieder, alles da, eben ALLES, songs auf dem Niveau von Literatur, konfrontierend, beunruhigend, real: "Man schreibt eben nicht für die Mehrheit, wenn man über Schmerzen und Verletzungen schreibt, sagte Lou Reed, und entsprechend wurden Velvet Underground angegriffen, kritisiert - doch sie machten unbeirrt ihr Ding, so wie der mastermind Andy Warhol auch: NO ONE IS ORDINARY OR EVERYBODY IS.

Die Vereinigung von dichterischer Kunst und Trash, Feinsinn und Rohheit, Zartheit und Gewalttätigkeit, die Reisen durch die urbane Unterwelt, die bleiche Haut, das schwarze Leder, die Zerrissenheit, Unsicherheit und Gebrochenheit: das war die "GegenGegenkultur": Überdrehtheit, fiebrige Energie, Lebenswut, Tanz auf dem Vulkan: die Gegenwart ist großartig, offen, frei, befruchtend, man spielt drauflos, während ringsum das Chaos herrscht, ohne Reglement, ohne Kontrolle: aber man weiß im Gegensatz zu der Hoffnung der Hippies, daß es nicht so bleiben wird; die Musik von Velvet Underground ist revolutionär, atonal, eruptiv, rückkoppelnd, die Texte schildern beschädigte Beziehungen statt allumfassender Liebe: die spontane, improvisative Hippie-Musik trifft auf die ironische Spannung; Stilisiertheit und Intellektualität von Velvet Underground, ja, und äußerlich kann man's auch sehen: der bleiche, sonnenbebrillte, verschlossene Metropolenmensch steht dem braungebrannten, gelösten, freundlichen Hippie gegenüber, dessen optimistische Weltsicht wird negiert: denn der urbane Mensch kann Gewalt, Schmutz, Verbrechen, Leid nicht mehr länger ausblenden. Doch vergessen wir nicht: Velvet Underground haben daraus ein Kunstprodukt gemacht: die Distanz durch den Schaffensprozeß muß dabei berücksichtigt werden, die Fähigkeit zur Selbstironie.

Hier treffen wir wieder auf Marie Pittroff, zunächst auf Marie Pittroff und Lou Reed. Lou Reed ist Bohemien, Romantiker und gleichzeitig Anti-Romantiker, Paranoia und Liebe im Wettstreit. Er bearbeitet die Wirklichkeit obsessiv, lebt seine Stimmungswechsel in der urbane Hölle, läßt sich nicht auf Handlungsweisen und eine Rollenidentität festlegen, spiegelt seine Ängste, Abgründe und Verletzlichkeiten und die trotzige Selbstbehauptung einer Generation. Marie Pittroffs Bilder teilen Lou Reeds grundlegende Skepsis gegenüber allgemeingültigen Wahrheiten und Utopien.

Wo Reed seine knappe, unpretenziöse und direkte Sprache einsetzt, arbeitet Pittroff mit einer aufs äußerste reduzierten Farbpalette. Pittroffs Städtebilder zeigen die Grundeinsamkeit des Menschen, seine Metropoleneinsamkeit, die menschlichen Artefakte hinter dem Schleier der Maja: die Welt erscheint nicht wirklich, der Betrachter kann keine Verbindung zu ihr herstellen, er ist persönlichen Assoziationen und Erinnerungsfeldem ausgeliefert. Die Welt als solche kann in ihrer Seinshaftigkeit mittels des menschlichen Wahmehmungsvermögens nicht sichtbar gemacht werden, keine eindeutige Interpretation ist möglich, es bleibt alles in der Schwebe. Pittroffs distanzierter Blick durch den Schleier erzeugt Verwirrung, die Grenzen zur Wirklichkeit werden spürbar, sind aber nicht zu überschreiten - ein Ort der Geborgenheit ist nicht möglich, die Sehnsucht danach bleibt.

Marie Pittroff benutzt medienvermittelte Bilder aus Zeitschriften, Magazinen, Schnappsch¸sse, Fotos und l”d sie mit neuer Bedeutung auf. Dabei bezieht sie bewuþt die verf¸hrerische, sinnliche Oberfl”che der ÷lfarbe mit ein: die klassisch-erhabene Wirkung der traditionellen ÷lmalerei erzeugt ein auratisches, vielleicht erratisches Werk, entr¸ckt und nahbar zugleich, und vor allem origin”r: so entsteht ein Unikat im Gegensatz zur Vorlage, Einzigartigkeit im Kontrast zum Medium, zum tausendfach reproduzierten Abbild. Pittroff spielt mit fotorealistischen Darstellungen monochromer Reduktion. Die Schichtenmalerei als aufwendiger Produktionsprozeþ erzeugt dabei einen bleibenden Wert, gelebte Zeit.

Die Gem”lde sind zwar zusammenh”ngend als homogene Ausstellung konzipiert, funktionieren aber auch als Einzelbilder. Die Portr”ts von Lou Reed haben nur scheinbar eine chronologische, durch das Altem ihres Protagonisten vorgegebene feste Reihenfolge: die Gleichzeitigkeit ihres Nebeneinander hebt den linearen Eindruck auf und verweist so auf die Facetten, Ich-Zersplitterungen und Widerspr¸che von Marie Pittroff, von ihrer Generation, von Lou Reed.

Martina Stauffer. Feb. 2002