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Kolumnen
Peter Herrmann. Mai 2007
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Benin - Könige und Rituale. Höfische Kunst aus Nigeria

 

In der Höhle des Hasen.

Einer der wenigen Anlässe mit denen uns die Gilde der Ethnologen erfreut, war ein Symposium das Anfang Mai in Wien stattgefunden hat. Zwei folgende Tage nach der Eröffnung der Ausstellung Benin - Könige und Rituale. Höfische Kunst aus Nigeria trafen sich Ethnologen aus den USA, Österreich, England und Deutschland sowie eine honorige Liste von Gästen aus Nigeria, die an Universitäten in den USA unterrichteten und hochrangige lokale Vertreter aus Benin. Das Publikum setzte sich aus weiteren Ethnologen, Sammlern, Händlern und Expertiseuren zusammen. Der Altersdurchschnitt war sehr hoch.

Um das Wichtigste vorweg zu nehmen: Diese Ausstellung ist ein unbedingtes Muß für alle, die auch nur ein wenig mit Afrika zu tun haben und wenn Sie jemanden für dieses Thema gewinnen möchten, zeigen Sie ihm diese Schau. Dann haben Sie ihn als neuer Freund für Kunst aus Afrika.

So viel des Lobes. Doch der Herrmann wäre nicht der Herrmann, würde nicht sofort ein Aber folgen. Verbunden mit ein wenig Geläster können Sie sich erneut auf Bissiges und auf Polemik vorbereiten. Genüßlich zerfleddere ich im Folgenden die Créme de la Créme der Ethnofraktion und zeige Ihnen seltsame Niederungen. Es ist halt wie überall. Es menschelt kräftig.

Die Ausstellung selbst ist nicht Gegenstand meiner Betrachtung. Sie ist hoch informativ und mit den bekanntesten Werken aus vielen Museen bestückt. Ein Genuß, sie einmal direkt vor Augen zu haben. Lediglich die Präsentation, sprich, die Ausstellungsarchitektur, läßt zu wünschen übrig. Am Unangenehmsten empfand ich das harte, streng gebündelte Licht, das in extrem steilen Winkel von oben auf die Kunst geknallt wird. Störende Schlagschatten und eine übermäßige Dramaturgie sind die eigentlich altbekannte Folge. Bei so viel Altbackenem dürften, mit Ausnahme der Schulklassen natürlich, wieder einmal wenig junge Menschen angesprochen werden. Der Katalog zur Ausstellung ist sehr dick. Ob er übergewichtig ist, zeigen die nächsten Wochen, wenn wir ihn durchgearbeitet haben. Abgesehen von ein paar fragwürdigen Alterszuschreibungen ist er randvoll mit lehrreicher Geschichte, Geschichten und Abbildungen.

Doch zum Wesentlichen und Eigentlichen dieses Artikels. Das Symposium.

Zunächst steht es, im Zusammenhang mit Ethnologen, in keiner Verbindung zum altgriechischen Symposion, bei dem sinnlich ritualisiert und neben wichtigen Erörterungen auch dem Wein zugesprochen wurde. Es gab Pausenkaffee aus der Thermoskanne und nachdem am ersten Tag der schwarze Beuteltee ausging, wurden zu den immer gleichen süßen Dingern eben Früchtetee als Alternative angeboten. Ein Ausweg aus dem Dilemma war das museumseigene Café auch nicht. Nach einmaligem Versuch hatte ich nach dem Verzehr einer Wiener Torte eine eklatant spürbare Fettblonze in mir drin.

Statt bequemer Liegen und ein paar gereichten Trauben gab es aneinandergekettete Plastikstühle und in der Pause Schlangestehen vor der Warmwasserquelle. So ziemlich mittendrin im Vortragsraum stand ein großes, zwei Meter hohes Podest mit zwei Projektionsgeräten darauf. Leider versperrte diese Barriere etwa einem Drittel der Plätze die Sicht auf die Leinwand nach vorne. Dies lockerte sich erst am zweiten Tag, als sich das doppelseitig hinangeklebte Leintuch immer wieder löste und den Blick durch die Stellage hindurch freigab. Fröhlich aufgelockert wurde die Atmosphäre durch Ansagen, gedacht für das gemeine Besuchervolk im Ausstellungsbereich, die über die nicht abgeschalteten Lautsprecher im Konferenzraum für ein wenig Abwechslung sorgten. Man konnte während dieses kleinen Fauxpas sogar vereinzeltes Gelächter hören. Hört, hört. Die Symposiarchin war Frau Dr. Plankensteiner.

Eine der Hauptaufgaben von Frau Dr. Plankensteiner bestand darin, den redenden Gästen aus USA, Österreich, England und Deutschland während ihres Vortrags neugierig machende Zettel auf das Podium zu legen. Bei manchen Vortragenden müßte darauf gestanden haben "Hören Sie sofort auf". Bei anderen könnte darauf gestanden haben "Ihre Redezeit ist zwar zu Ende, aber reden Sie ruhig noch zwanzig Minuten länger" Doch auch diejenigen, bei denen "sofort aufhören" gestanden haben könnte, redeten unbeirrt weiter. Dies reduzierte die Pausen weitgehend auf bereits schon beschriebenes Schlangestehen.


Da sich viele Vorträge mehr wie eine Pflichtübung leihgebender Museen anhörten, die als Beteiligungsbedingung ihre hauseigenen Abteilungsleiter in Szene setzen wollten, hätte manchmal auch ein Grußwort gereicht. Ob sie sich denn auskannten im Thema oder nicht, spielte scheinbar eine unwesentliche Rolle. Lesen gelernt hatten ja alle. Das ist Voraussetzung für einen akademischen Titel. Warum man dabei noch dauernd die Redezeit überschritt, bleibt ein Rätsel. Auffällig war, das alle sieben aus Nigeria stammenden Rednergäste akkurat in der Zeit blieben. Von 16 Europäern und Diasporaeuropäern schafften das gerade mal drei.

In die Gäste aus Nigeria hatte ich denn auch die meisten Erwartungen gesetzt und wurde dabei, wie ich später noch ausführen werde, auch nicht enttäuscht. Dafür wurde mein lokalpatriotisches Gefühl aber sehr angekratzt. Bei all den schönen Namen wie London, Edinburgh und Cambridge, Neu York und Washington, Antwerpen und Wien, Berlin, Hamburg, Köln und München, die Liste lang und länger, sogar noch länger, wie die Rednerliste war, fehlte doch etwas. Nicht die Privaten. Ganz verschämt, am langen Ende der Ethnomuseumshitliste stand sogar "Privatsammlung Österreich". (Wessen Spezl da wohl Privaterweise reinrutschte?) Nein, ich war nicht zufrieden. Geneigter Leser, denn, - Stuttgart fehlte.

Wer sich noch an die Auseinandersetzung mit meinem dortigen Lieblingsunethnologen erinnert, kann sich blumig vorstellen, wieviel spekulative Gedanken mir während des Schlange stehens durch den Kopf gingen. Allein, keiner der anwesenden Ethnologen wäre Willens gewesen, mir bei dieser spannenden Frage weiterzuhelfen. Denn sie schnitten mich. Ich Böser Bube hatte mich erdreistet, in meinem letzten Artikel das deutschsprachige Ethnokollektiv humorlos mit dem Totemtier des Hasen in Verbindung zu bringen. Da ich als Vegetarier zum Hasen als solches ein gegenseitig gutes Verhältnis habe, ist mir diese Reaktion ein klein wenig unverständlich. Besonders kompromittierend war mein Vorhandensein jenen, mit denen ich die Jahre vorher schon ein keckes Du gepflegt hatte.

So ging der erste Symposiumstag staubtrocken hinüber.

Da das Nichtethnologenpublikum für die Aufenthaltstage nichts bezahlt bekam, tröpfelte meine Sammler- und Händlerverstärkung erst am zweiten Tage ein. So kam ich denn am ersten Tage meiner vergnüglichen Feldforschung auch nur mit Herr Chika Okeke-Agulu von der Pennsylvania State University ins Gespräch. Da uns die Pause aus oben beschriebenen Gründen keine Zeit ließ, mehr über seine Frau zu reden, die als Künstlerin schon an mehreren Ausstellung von mir beteiligt war, verabredeten wir uns für den Abend. Über Bronzen wollte ja ohnehin niemand mit mir reden. Ich holte ihn im Hotel ab, wo sich uns spontan drei, mir bis dato unbekannte, ältere Damen aus den USA anschlossen.

Wir plauderten über Herrn Bush, gedämpften Fisch und Welschriesling. Irgendwann kamen wir dann nach Solchem vom eher Allgemeinen zum Konkreten, nämlich der Rolle der Ethnologie im Bereich zeitgenössischer Kunst. Eine der Damen war Frau Schildkrout, Chief Curator and Director of Exhibition vom Museum of African Art in New York. Da Herr Okeke als Redner das Thema The Burden of Tradition. Modern Edo Artists and the Legacy of "Benin" Art am nächsten Tag vortragen sollte, hatten wir unsere Freude am gemeinsamen Inhalt. Die zwei anderen Damen kannten sich bei diesem Thema nicht so gut aus und waren entsprechend überrascht als sie erfuhren, welch heftige allergische Reaktionen bei Künstlern aus Nigeria auftreten, wenn sie den Namen Oshogbo-Art hören. Genüßlich zerrupften wir in diesem Zusammenhang die verhängnisvoll dumpfe Rolle des Iwalewa-Hauses in Bayreuth, die bis heute den Unterschied von Artconsulting und Galerien nicht kennen und Künstlerkarrieren durch "Ethno"-Vereinnahmungen erheblich schädigen.

Warum so viele Künstler aus Afrika partout nicht als Künstler aus Afrika wahrgenommen werden wollen, erklärte sich trefflich aus diesem Beispiel. Frau Barbara Blackmun und Frau Paula Ben-Amos Girshick, die zwei Grande Dames der Benin-Bronzen, zeigten sich entsprechend überrascht über die für sie neuen Ansichten. Wir hatten uns an der Wiener Küche erfreut und ich begleitete die Tischgemeinschaft in ihr Hotel. Mit einem einsamen Viertel Wein beschloß ich nachdenklich den Abend, hoffte auf Aspekte in den Vorträgen des nächsten Tages und freute mich auf die Podiumsdiskussion.


Erinnern Sie sich, lieber Leser, an die sagenhafte Aktion von Joseph Beuys mit dem schönen Titel Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt?

Zum Symposium wurden "...die bedeutendsten Benin-Fachleute eingeladen, um neue Erkenntnisse der historischen, sozial-anthropologischen und ikonographischen Forschung zu präsentieren", stand in der Ankündigung. "Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen" böte sich somit "eine einzigartige Gelegenheit zum gegenseitigen Austausch und fachlichen Diskurs."

In Grüppchen stehend, in einer Hand die Kaffeetasse in der anderen die Schneckennudel, sperrten sich auch am nächsten Tag viele anwesende Benin-Fachleute gegen jede Art von Erkenntnis. Eine kleine Liga von eifrig mitschreibenden Nachwuchsethnologinnen übte sich, disziplinübergreifend?, auch schon darin. Gerne hätte ich gewußt, was diese Damen da eifrig zwei Tage notierten, waren die meisten Redebeiträge doch ohnehin nur heruntergeleierte Fachbeiträge, die man einfach im Katalog nachlesen könnte. Aber es gab dem Ganzen so etwas Akademisches...

So schlich zäh und disziplinübergreifend der zweite Vormittag dahin. Langeweile paarte sich mit Verspätungen. Sinnfragen und Gähnen bekämpften das willige Ohr. Doch plötzlich ein Erwachen. Nacheinander standen zwei Herren aus Nigeria am Rednerpult. Einer akkurat im westlichen Zwirn. Der zweite herausgeputzt in lokalem traditionellem Textil, das verdächtig nach einer authentisch-anthropologisch-europäischen Bitte roch. Es waren jene Herren, die im Prospekt als wichtig angekündigt wurden. Der Beitrag der Mitglieder des Königshauses und Vertreter der lokalen Künstlergilden sollten mit ihrer Sicht zum gegenseitigen Austausch und fachlichen Diskurs beitragen. Aber Hallo.

Es kam genau so. Wie angenehm. Herr Daniel Inneh erläuterte Surviving Guilds in Benin. Their Function in Society and Relation to the Royal Palace. Doch wehe. Seine sehr interessanten Erzählungen reichten schon in die Zeit der Mittagspause, verursacht von zu langem Vorlesen in den Beiträgen vorher. Vollends erwischt hat es so Chief K. Osarhenhen Inneh. Der Ine der Bronzegießergilde sprach über Prospects for the Bronzecaster Guild in Benin. Aber man hörte schon geradezu, wie niemand mehr zuhören wollte.

Wie vor ihm und nach ihm einige andere Redner aus Nigeria fast schon nebensächlich ausführten, sprach auch er darüber, dass es viel mehr Bronzen gäbe, als die in Museen befindlichen Raubstücke der Britischen Militärexpedition von 1897. Dies war sehr wichtig zu hören, auch wenn Dark schon 1982 darauf hinwies. Am ersten Tag betonten einige Mitglieder des Königshauses, dass es mehr als fair wäre, einiges von dem geklauten Gut zurückzugeben. (Was bei der Menge von in Museumsarchiven verbliebenen Stücken, die vermutlich erst in ein paar Generationen von dort aus wieder Licht sehen werden, ein eigentlich leicht zu erfüllender Wunsch wäre). Und nun dies. Die Nigerianer zeigten sich sehr undankbar für die Einladung. Sie redeten nach dem Munde derer, die zum Austausch der Wissenschaften gar nicht gerne gesehen werden. Der Gilde der Sammler und Händler, ...deren Objekte übrigens mit keinem Ton zurückgefordert wurden, was einigen Ethnologen der Beweis ist, dass diese deshalb nicht echt sein können... Wären sie echt, müßten sie selbst die Objekte ja besitzen. Verstehen Sie?

Endlich hörte ich jemand der nicht an anderer Leute Karotten nagt. Kein ängstliches Versteckspiel. Keine Konsenssuche auf der Spur des kleinsten gemeinsamen Aussagenenners, sondern klare Statements eines Praktikers. Er sagte, die Gießergilde Igun Eronmwon bestehe seit 1000 Jahren. dass die Entwicklungstheorie von Ife nach Benin im 13. Jahrhundert in Benin schon geraume Zeit angezweifelt wird, wußte ich schon seit 1989, aber 1000 Jahre hörte ich noch niemand sagen.

Können Sie sich meine Freude vorstellen? Diese eine Aussage war die zwei Tickets für Frau Hecht und mich plus Spesen und Teilnahmegebühren mehrfach wert. Meine zeitlichen Zuordnungen in meiner Ausstellung als wissenschaftlicher Dilettant, vorwitzig behauptet und mit großem Vertrauen in die TL-Expertisen, ordnet sich neu.

Obwohl wir an die TL-Expertise als beste aller Möglichkeiten zur Altersbestimmung nicht zweifelten, gab uns ein Zwerg mit +- 950 Jahren Bauchgrimmen. Stilistisch eine Mischung aus Benin- und Ife-Stil, deckte sich das Alter mit keiner uns bekannten Veröffentlichung.

Deshalb, hier noch einmal in aller Deutlichkeit gerichtet an die Damen und Herren der Museen, von denen sich in meiner 18jährigen Galerietätigkeit nur Wenige und von den Wenigen die meisten bestenfalls zum Entlarven von irgend etwas sehen ließen - und das auch gerne mal inkognito: Stimmen alle Indizien, steht in meiner Ausstellung eines der ältesten Objekte aus Benin. Vielleicht lohnt es sich deshalb, einen Antrag im Museum auszufüllen. Mit diesem Hintergrund könnten Sie einen Besuch vielleicht in Ihrer bezahlten Arbeitszeit unterbringen.

Bis heute hat sich von der ethnologischen Zunft noch Niemand blicken lassen, den auch nur im Ansatz meine zeitliche Zuordnung der Bronzen von Kamerun interessierte, die mit Belegen aus zwei Ausstellungen zu vergleichen ist. immerhin 250 Jahre alt ist ein Musikerzug der Tikar, bei dem als eingearbeitetes Reliquiar ein Kopf als Verweis auf Ife-Stilistik eingearbeitet ist. Niemand interessierte sich für eine Benin-Platte, ebenfalls in der jetzigen Ausstellung gezeigt, die +- 320 Jahre alt ist und kleine Gnome zeigt, die in Kamerun seit dem 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart auftauchen.


Nehmen wir mein Lamento als Überleitung zu einem nächsten, fröhlichen Aspekt. Um neue Erkenntnisse der historischen, sozial-anthropologischen und ikonographischen Forschung zu präsentieren, stand auf der Rednerliste ein Herr Joseph Nevadomsky von der California State University, Fullerton, USA. Sein Vortrag hieß Contemporary Brass-Casting Production and Styles in Benin.

Abgründe, die sich vorher schon ankündigten. Ein Herr, der schon während des ganzen Vormittags im Raum herumlief, seltsame Einwürfe in die Reden Anderer machte, notorisch nach jedem Beitrag als erster ans Mikrofon eilte um durch Töne zu beweisen, er sei Fachmann, um dessen alleine stehenden Stuhl sich ein seltsames Sammelsurium von Papieren, kleinen, frisch verkonsumierten Fläschchen und verstreuten Dias gruppierten, stellte sich als Herr Joseph heraus. Sie ahnen was kommt. Waren viele Vorträge ein wenig langweilig - man nimmt dies aus Gewohnheit geduldig mit und wundert sich bestenfalls über die Häufigkeit der Tristesse, - war diese Nummer erheiternd der durchgeknallteste Mist, den ich seit Langem gehört habe.

Unser Spezialist begann seinen Vortrag mit einer Reihe von Fotografien, an denen er Monumente an öffentlichen Plätzen oder geschweißtes Kunsthandwerk auf Haustoren zeigte. Leider war die Qualität der Bilder sehr sehr liederlich. Vermutlich hatte er schon mal etwas von Multi-Media-Shows mitbekommen, denn er versuchte sich, mal simultan, mal kontrapunktisch, auf sage und schreibe zwei Dia-Projektoren. Es funktionierte nicht. Seine herrisch gebellten oder wahlweise hineingenuschelten Befehle an die Technikerin brachten leider noch mehr durcheinander, so dass in diesem bizarren Vor und Zurück jeglicher vielleicht vorhandene Faden verloren ging. Es könnte etwas mit den kleinen, frisch verkonsumierten Fläschchen zu tun gehabt haben. Vielleicht hatten die auch einen Einfluss auf die zweite Hälfte seines Vortrags, in dem er etwas pries, was nach seinem Verständnis zeitgenössische Kunst sein sollte.

Marvellous, superb und andere US-spezifische Wunderlaute gingen ihm bei jedem Bild hochemotional über die redseligen Lippen. Kennen Sie, geneigter Leser, jene panafrikanischen Intarsienarbeiten, bei denen Wasser tragende barbusige Weiblichkeiten allerliebst Lustwandeln? Ungefähr dieses Niveau hatte seine eigene Sammlung, die er, wie gewohnt nicht mehr aufhören wollend, dem wissenschaftlichen, am Kunstbegriff untrainierten Publikum zum Besten gab.

Glücklicherweise folgten danach die sehr gut vorgetragenen Beiträge von Frau Ben-Amos Girshick und Herr Okeke-Agulu. So konnte ich dann ein wenig Luft holen, bis die Vortagsreihe nach 23 ! Beiträgen mit den letzten beiden Reden zu Ende ging.

Der letzte offiziell angekündigte Vortrag war von Herr Junge aus Berlin. Sehr interessant. Weniger wegen den Zuordnungskriterien, bei der Köpfe nach seltsam anmutenden Versuchsanordnungen wie Perlenschnüre mal horizontal, mal vertikal nebeneinander in Zeitachsen geordnet wurden und das Publikum trefflich studieren konnte wie sich alle widersprechen. Herr Junge visualisierte Zuordnungsversuche der letzten Jahrzehnte, die auf meist falschen Grundlagen eines metallurgischen Vergleichs beruhten und deren Ergebnis sein sollte, nach etlichen Quetschungen und Stauchungen, stilistischen Kriterien in eine europäische Tabelle hinein zu bekommen.

Es schien mir ungefähr so, als wenn man auf der Grundlage der Annahme, dass die Erde eine Scheibe sei, Hypothesen über die Beschaffenheit der Ränder anstellt. Mutig stellte Herr Junge diese Reihungen ein ganz kleines Bißchen in Frage. Natürlich nicht in dem Sinne, dass er konkret widerspräche, aber er stellte Einwände relativierend zur Disposition. Dass er dabei als Beispiele die zeitliche Zuordnung der flügelbehelmten Köpfe nützte, steigert meine Dankbarkeit ihm gegenüber. Allerdings konnte ich diesen Umstand erst aus dem Katalog erfahren, der, - mein Schmunzeln dürfte durch die Zeilen hindurch sichtbar werden - schon in der Drucklegung war, als ich in meinem letzten Aufsatz ausgerechnet diese Flügel als Beispiel meiner Einwände benutzte. Um während des Vortrags nicht in diskreditierend kompromittierendes Licht seiner Kollegen zu geraten, wurden die Zweifel, die im Katalog nachzulesen sind, im Vortrag weniger, bis eigentlich eher gar nicht, betont.


Danach ging es mit einer angekündigten Roundtable Discussion weiter, wegen der ich auch hauptsächlich nach Wien gereist bin. Mit erheblicher Verspätung setzten sich die Angekündigten an einen rechteckigen Tisch in Reihe und begannen, nicht zu diskutieren.

Lieber Leser, kennen Sie diesen langsam anrollenden Grimm. Wenn etwas, an das große Erwartungen geknüpft waren, Stück für Stück zu einer Enttäuschung wird und danach das Gefühl von Ent-täuscht zu Ge-täuscht wechselt? Wenn zwei Tage Schlange an der Thermoskanne und der heroische Kampf gegen Schlaf für nichts gut gewesen sein soll?

Eröffnet wurden die erneuten Vorträge mit einem Foto auf der großen Leinwand das dümmer nicht sein konnte. "Benin as Trademark. The Production and Market of Fake Benin Bronzes" hieß der Titel der Diskussion die zunächst keine war und zu der das Foto paßte wie die Aussage, dieser gerade Strich ist ein Kreis. Zwei riesige Köpfe im Stile derer von Benin standen neben einem Schwimmbecken. Die Fotografie schien einer innenarchitektonischen Zeitschrift entnommen zu sein. Ein ansprechendes luxuriöses Ambiente, wovon auch wissenschaftliche Beamte gerne träumen. Das Foto hatte nur einen entscheidenden Haken, der bei einer Benotung in der Schule wegen Thema verfehlt eine vierbisfünf gegeben hätte. Frau Plankensteiner, Sie als Symposiarchin, stellen Sie sich vor, eine Vier Bis Fünf! Ihnen?

Diese zwei Köpfe waren schönes Kunsthandwerk. Sie wurden als solches hergestellt, damit sie jemand erfreuen, der ästhetisch einrichtet. Wir wissen nicht für wieviel der Besitzer diese Köpfe eingekauft hat aber ich nehme kaum an, dass er eine Million Eurothaler ausgegeben hat um dann die Objekte seiner Begierde neben einen Pool zu stellen.

So also sieht eine Fälschung in den Augen der ethnologischen Gilde aus? Dafür gehört ihnen pädagogisch eine an die Löffel. Fake heisst auf Deutsch und Österreichisch - Fälschung, gefälscht Schwindel. Die Behauptung Fälschung unterstellt Betrug. Ein juristischer, geschäftsschädigender, ehrverletzender, unverschämter Terminus, wenn er nicht stimmt. Wie an diesem Beispiel. Eine kunsthandwerkliche Replik ist keine Fälschung. Verstehen Sie den Unterschied Herr und Frau Ethnologe? Sie kann in Indonesien, Kamerun oder in Benin hergestellt sein, was absolut nichts zur Sache tut. Solange sie als legale Replik verkauft wird, zu einem dafür angemessenen Preis und niemandem vorgetäuscht werden soll, es handele sich um ein Original aus dem sechzehnten Jahrhundert, ist jede falsche Behauptung, wie die von Ihnen pauschal immer wiederholte, schlicht Diskriminierung und Beleidigung. Wenn sie nicht lernen hier achtzugeben, könnte man diese haltlosen Unterstellungen ganz interdisziplinär mal von Juristen prüfen lassen.

In diesem Stil wurden die Vorträge gehalten und ich begann, mit meinem Hintern unruhig von links nach rechts auf dem Stuhl zu rutschen und immer öfter auf die Uhr zu schauen. Ein Herr Berswordt-Wallrabe erläuterte, wie er von fünf Personen, die er für Experten hielt, sechs Meinungen zu seinen gekauften Bronzen bekam und nun nichts mehr wisse. Er sei wohl bei mir in meiner Ausstellung gewesen, was ihn aber auch nicht mit neuem Bewußtsein durchflutete. Dass er dies erwähnte, gab mir für einen Moment das Gefühl von Bedeutung, bis ich schmerzlich daran erinnert wurde, dass dies im Rahmen einer Fälschungsdiskussion stattfand, wofür ich ihm auch gerne eine an die.... Jedenfalls kann ich diesen meist anonym in den Ausstellungen auftretenden Entlarvern die ewige Verdammnis in der Hölle der Unsicherheit wünschen.

Wofür benötigt man jemand auf dem Podium, der betont nichts zu wissen? Ich dachte, so was gehört in eine Talkrunde für Selbstfindungen mit dem Fernsehpfarrer? Jemand, der nach eigenem Bekunden keinen Standpunkt definieren kann, beginnt, andere Personen in Frage zu stellen und zu kritisieren? Als er mit dem Stuss des Einbringens von Gußkern begann und wie üblich nicht erklären konnte wie das gehen solle, tauchte die ehrlich gemeinte Frage auf: Aus welchem Grund setzt man solch eine Person aufs Podium?

Diese Frage konnte dann an die nächste Person weitergegeben werden, der mir als Experte für Kamerun angekündigt wurde. Sein langer, langsam vorgetragener Vortrag, schon wieder mit Diashow, zeigte nun Kameruner Gießer beim Herstellen von Airport-Art. Bei jedem seiner Fotos konnte der Vortragende eindeutig nachweisen, dass das Objekt auf dem Foto eine Nachbildung von diesem und jenen Original aus Benin wäre. Jetzt platzte mir der Kragen und ich unterbrach Herrn Krejsa* in seiner gedehnten Ausführung mit eben jenem Hinweis, dass es sich, wie oben beschrieben, mitnichten um Fälschungen handele, und ich, unter Zeitdruck wegen eines Flugzeugs, doch gerne über das reden wolle, weswegen ich von Berlin nach Wien kam. Über Fälschungen.

Zunächst standen nach mir zwei der Referenten aus Nigeria auf und bestätigten meine Ausführungen. Der Herr auf dem Podium hat, wie ich es bei Sammlern und Ethnologen öfters erlebe, nicht gemerkt, wie er die anwesenden Personen, namentlich Herr Inneh als Gildemeister, diskriminiert und, streng genommen, sogar kriminalisiert. Auch Gießer der Gilde in Benin stellen Repliken alter Motive her. Man konnte sie in den Vitrinen am Eingang des Museums sehen und erwerben. Gehört hier wirklich soviel Hirnschmalz dazu, den Unterschied von Replik und Fälschung zu begreifen? In der logischen Konsequenz dieser verbogenen Interpretation wäre das Museum selbst Verkäufer von Fälschungen.

Nachdem dergestalt, mit eineinhalbstündiger Verspätung nun tatsächlich doch so etwas wie eine Diskussion entstand, mußte ich leider mittendrin gehen und mir den unergiebigen Fortlauf später erzählen lassen.


 

Für ein Resümé reicht es aber auch ohne die letzten Minuten.

Seit Monaten liegen wir in der Galerie auf der Lauer nach Argumenten, die verschiedene unserer Thesen bezogen auf Alter und Bestimmung widerlegen. In unzähligen Gesprächen und Korrespondenzen suchten wir mit derselben Intensität Bestätigungen eigener Thesen und welche die uns widersprechen. Dies war ein Hauptgrund nach Wien zu reisen. Kommen dort Erkenntnisse zur Sprache, die wir noch nicht kannten? Fehlten uns entscheidende Bände der Literatur? Hatten wir falsch bearbeitetet oder geschlußfolgert?

Haben wir nicht!

Das Symposium hat ausser der Sicherheit, dass wir mit unseren Theorien richtig liegen, kein neues Argument gebracht zu dem wir unter Lösungszwang stehen. Im Gegenteil. Die Beiträge der nigerianischen Deligierten kamen mir so vor, als hätten wir sie selbst eingeladen. Sie sagten Dinge mit natürlicher Selbstverständlichkeit, für die ich schon jahrelang wie ein Exot angeschaut wurde. Am schönsten ist mir von einem der abschließenden Redebeiträge der Appell von Herr Inneh in Erinnerung, der nach wiederholten Mißinterpretationen freundlich einwarf, die Damen und Herren könnten, wenn Sie so viele Fragen hätten, doch gern nach Benin kommen, damit dort von kompetenten Informanten ihre Fragen beantwortet werden können. Denn, wo wäre es besser und einfacher als direkt bei ihnen?

Metallurgische Vergleichsexpertisen dienen mit Stand 2007 bestenfalls als kleine Ergänzungen zu stilistischen Übungen. Es waren methodische Versuche mangels anderer Möglichkeiten, die bezogen auf die letzten zwanzig Jahre mehr durcheinanderbringen als erhellen. Die einzige absolute Methode bleibt die Thermolumineszenz-Analyse.

Wir haben eine ganze Reihe von Einwänden gegenüber der metallurgischen Vergleichsanalyse, die von Chemikern und Physikern bestätigt werden. Auch in dem Katalog zur Ausstellung gibt es diesbezüglich nur Widersprüche. Es gibt zu unseren Argumenten gegen metallurgische Analysen juristisch hieb- und stichfeste aktenkundige Beweise. Die paar sehr Wenigen, die aus beruflich-existentiellen Gründen mauern oder die wenigen Institutionsbeamte, die aus wissenschaftlicher Rechthaberei unseren Argumenten widersprechen, haben keinen guten Stand.

Solange mir niemand den Beweis erbracht hat (hinter dem ich schon Jahre her bin), wie man einen alten Gußkernrest in ein Objekt nachträglich so einbringen kann, dass wir es nicht feststellen können, solange bestehe ich auf dem Unfug einer metallurgischen Vergleichsexpertise als absolute Aussage.

Und mit mir fast alle Sammler und Händler. Die, liebe Ethnologinnen und Ethnologen, zum großen Teil auch Akademiker sind. Physiker, Chemiker, Richter, Architekten, Soziologen, Kunsthisitoriker. Also: Vorsicht mit Standesdünkel! Schön interdisziplinär bleiben!

Oder besser, - endlich werden.

© Peter Herrmann im Mai 2007


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Links zur Ausstellung

 

Bronzen in Einzeldarstellungen

Die Ausstellung. Texte, Pressebilder, Übersicht

Artikel von Peter Herrmann - Schöpfungs- oder Entwicklungstheorie

Artikel von Dorina Hecht, M.A. - Problemstellung und Vergleich

Artikel über Beweggründe der Frau Dr. Barbara Plankensteiner
Neu verlinkt 2012


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Anmerkung

Feb. 2008
Bei späteren Korrespondenzen stellte sich heraus, dass Herr Peter Kresja mit seinen Ausführungen über kunsthandwerkliche Repliken auf den selben Standpunkt hinauswollte wie der Verfasser dieses Artikels >> zurück


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