Potsdamer Neueste Nachrichten 11.7.2005

Presseseite der Galerie Peter Herrmann



Die Sandalen abgestreift
Multikulti-Familienfest unter freiem Himmel: Das Afrikafestival im Waschhaus

Von Matthias Hassenpflug

Potsdam liegt nicht in Afrika, auch nicht nach dem sechsten Afrikafestival, das gestern auf dem Gelände an der Schiffbauergasse zu Ende ging. Würde man in Afrika vielleicht ein „Europafestival“ feiern? „Wir haben weder von den politischen noch von den realen Lebensbedingungen in Afrika eine Ahnung“, sagte Katja Böhler von der mitveranstaltenden Bundeszentrale für politische Bildung zur Eröffnung am Freitag.

Sicher ist, dass man der Wahrheit über Afrika nicht näher kommt, folgt man den Worten der „Bundesbeauftragten für Afrika“, der Grünen Uschi Eich, deren Grußwort verlesen wurde. Eich preist gleich mehrfach die „Vielgestalt“ und den „enormen kulturellen Reichtum“ des Kontinents mit seiner „uralten Kulturgeschichte“ – der Verweis auf das Afrika als „Wiege der Menschheit“ fehlte nicht –, ein Kontinent, „der ungemein etwas zu bieten hat.“ Die Kulturbeigeordnete Gabriele Fischer schoss ein wenig über das Ziel hinaus, meinte es aber gut: das Festival wäre eine richtige Antwort auf den G-8-Gipfel und „das, was in London passiert ist.“ Das Afrika Festival ist nichts mehr als ein Annäherungspunkt zwischen Afrikanern, die meist lange Jahre schon in Deutschland leben, und uns. Unaufgeregte Begegnungen ermöglichen, lautet demnach auch der realistisch-utopistische Wunsch von Veranstalter Volker Mett.

Die wunderbare Sängerin Sonja Kendals, obschon eher als Rahmenprogramm für die Eröffnung gedacht, benötigte nur zwei Lieder, den Trommler Souleymane Touré und den Belafonspieler Aly Keïta, um so etwas wie Magie zu erzeugen. Das Publikum war kurz in Bann genommen und wünschte sich eine Fortsetzung im Hauptprogramm. So war sie der wahre Höhepunkt des Festivals (und tritt am 21. Juli noch mal im Waschhaus auf). In ihrer Stimme vereinen sich europäisch-analytische Klarheit und das Geheimnisvolle.

Was für ein Bild: am Samstag spielten weiße und schwarze Kinder an einer riesigen Pfütze, deren Umriss aussah wie Afrika. Steine und Ziegel wurden herbei geholt, um gemeinsam den Kontinent zu überqueren. Über dem afrikanischen Markt aus Kunststoffbuden hing der Geruch von in Öl gebackenen Bananen. Zwei Jahre brauchten die Organisatoren, bis die Berliner Afrika-Gemeinde sich traute, nach Potsdam zu kommen. Heute ergibt sich das Bild eines großen Familienfestes. Weiße und Schwarze Fußballkerle spielen vor der großen Open-Air Bühne. Es gibt Bananenbier, Hühnchenspieße, äthiopische Soßen und Falafel.

Die Stände des Basarbereiches bieten Ohrstecker, Schnitzfiguren, Tücher, Trommeln und Perlenketten an. Jeder Stand hat anderes zu bieten, alles ist dennoch das Gleiche. Irgendwann wird man erfahren, dass die ganze Folklore, die wir offensichtlich brauchen, um in Afrikastimmung zu kommen, in China produziert wird.

Ein Trommelsturm bricht los, inmitten der Buden tanzt plötzlich eine Afrikanerin in roter Tracht. Die Zuschauer klatschen. Ein blonder Weißer, Typ Geographiestudent mit lila Hosen, tanzt die Schönheit an, wild, lasziv, Rhythmus überall. Ist so Afrika? Lebensfreude, in jedem Gesicht ein Lachen, Trommeln und Tanzen? Oder ist es nur so bei Afrika-Festivals? Dann fängt das Open-Air Konzert an, das „Nomad Sound System“ mit seinem Sänger aus Tunesien spielt seinen Mix aus House-Klängen und traditionellem Rai Gesang.

Das wirkt unter den vielen Schwarzafrikanern auf dem Gelände so, als ob bei einem „Europa-Festival“ mit Schwerpunkt Salsa aus Spanien plötzlich russische Volkslieder erklingen. Dennoch, es ist ein Multikulti-Familienfest, und damit wird auf jeden Fall getanzt. Auch die folgende Band „Rhythmtaxi“, eine Formation mit neun Musikern und einem Sänger aus Nigeria, liefert schlicht Tanzbares ab. Musikalisch ist die Show („I want you to move your body“) und der Gesang ganz und gar nicht Aufsehen erregend, weil Rhythmisch schwer iterativ.

Fôô Fanick, zum Schluss und als Höhepunkt des Abend und des Festivals, hat eine 13-köpfige Band und ein unglaubliches Haarhorn als Frisur. Seinen Afro-Reggae lässt er von einem lustigen runden Tänzer in gelbem Hosendress zusätzlich aufmuntern. Es dämmert, Afrikaner und Potsdamer haben die Sandalen abgestreift, Regen droht, egal. Potsdam liegt bestimmt nicht in Afrika – aber wir haben ja das Afrikafestival.